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University of Toronto
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DIE
Geschichte der Quellen und Literatur
des
Canonischen Rechts
von
Gratian bis auf die Gegenwart.
Von
Dr. Joh. Friedrich von Schulte.
33 r e i Bünde,
Erster Baud.
Einleitung.
Die Geschichte der Quellen und Literatur von Gratian bis auf Papst Gregor IX.
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STUTTGART.
Verlag von Ferdinand E n k e.
1875.
DIE
Geschichte der Quellen und Literatur
des
Canonischen Rechts
von
Gratian bis auf Papst Gregor IX,
Von
Dr. Joh. Friedrich von Schulte,
Geheimem Justizrath und Professor der Rechte in Bonn.
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STUTTGART.
Verlag von Ferdinand E n k e.
1875.
Druck von Gebrüder Mäntler in Stuttgart.
Ueber die Grundsätze, welche bei der Bearbeitung massgebend waren, ist in der Einleitung ausführlich Rechenschaft gegeben worden. Eine Bemerkung möge an diesem Orte ihren Platz finden. Meine eignen Arbeiten, auf denen die gegenwärtige Darstellung ruht, sind zu einem grossen Theile in gegen zwanzig grösseren und kleineren Ab- handlungen, die an der gehörigen Stelle angeführt werden, in den Jahren 1867 bis 1875 mit wenigen Ausnahmen in den Sitzungsberichten' und ,Denkschriften' der philosophisch - historischen Glasse der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien veröffentlicht worden. Hätte allenthalben die ausführliche Entwicklung auch für die in meinen frühe- ren Schriften erörterten Schriftsteller und Werke gegeben werden sollen, so würde der Umfang des Buchs das Dreifache überschritten haben. Ausgehend jedoch von der gewiss richtigen Voraussetzung, dass der- jenige Fachmann, welcher über einen einzelnen Punkt genauere Unter- suchungen anstellen will, die Vorstudien ohnehin benutzen, der grosse Kreis der Leser hingegen keine durch Einzeluntersuchungen unterbrochene und den Charakter der Materialienansammlung tragende Darstellung verlangen werde, habe ich Einzeluntersuchungen überhaupt nur in jenen Fällen gegeben, wo dies entweder bisher durchaus nicht geschehen ist, oder wo ich von den Ansichten Anderer abweiche.
Meine Absicht ist nicht auf eine rein äusserliche Quellen- und Literaturgeschichte gerichtet, in welcher die äussere Gestalt der Quellen beschrieben, die Lebensbeschreibung der Schriftsteller, eine Aufzählung und. äussere Beschreibung ihrer Werke geboten wird; es soll vielmehr zugleich der Entwicklungsgang der Rechtsbildung und Literatur ge- schildert werden. Um dies zu erreichen, stellte sich die Noth wendig- keit zahlreicher Mittheilungen aus den Schriften und das Eingehen auf den Geist und Charakter der Rechtsentwicklung heraus. Ich darf wohl die Hoffnung hegen, dass diese Beschaffenheit dem Buche zum Nutzen gereiche. Dem Bestreben, den Umfang möglichst einzuschränken, habe
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ich dadurch zu entsprechen mich bemüht, dass sowohl die Belegstellen, als dir literarischen Notizen, die Angaben über Handschriften, Drucke 11. dgL in der möglichsten Kürze in den Anmerkungen gegeben werden. Das ganze Werk wird drei Bande umfassen. Von den zwei folgenden Bänden, deren jeder mehr als doppelt so gross wie der gegenwärtige sein wird, sind manche Partien bereits druckfertig; ihr Erscheinen darf ich niif Sicherheit für das Jahr 1878, beziehungsweise 1881 in Aussicht stellen, hoffentlich erscheinen sie früher. — Obwohl dieser Band nur einen kurzen Zeitraum umfasst, musste die Darstellung verhältnissmässig ausführlicher sein, weil es sich um die Zeit handelt, in welcher recht eigentlich die Ausbildung des canonischen Rechts vor sich ging. Der zweite Band wird die Zeit von 1234 bis 1563, der dritte die von 1563 bis zur Gegenwart behandeln; jeder der beiden wird gleichfalls als ab- geschlossenes Werk erscheinen. Möge das Buch eine dem Aufwände an Zeit, Arbeit und Reisen, die seit fast zwanzig Jahren auf die Samm- lung des Materiales verwendet wurden, einigermassen entsprechende Aufnahme finden ! Das wird der beste Antrieb zur baldigen Vollendung desselben sein.
Bonn, den 8. März 1875.
Der Verfasser.
Inhaltsverzeichniss.
Seite
Einleitung. I. Kapitel. §. 1. I. Uebersicht 1
IL Quellen der Literaturgeschichte.
§.2. a. Sammlungen von Schriften 6
§. 3. b. Handschriften-Verzeichnisse 6
§. 4. c. Bücher-Verzeichnisse 11
§. 5. d. Sonstige Quellen 11
III. Schriftsteller.
§. 6. a. Schriften über die Literaturgeschichte des canonischen
Rechts überhaupt 12
§. 7. b. Werke für einzelne Länder und Universitäten ... 15
§. 8. c. Allgemeine biographische Werke 18
IL Kapitel.
§. 9. Grundsätze der Behandlung 19
III. Kapitel. §. 10. Die canonistische Jurisprudenz vor Gratian 29
Erstes Buch.
Die Geschichte der Quellen und Literatur des canonischen Rechts von Gratian bis auf Gregor IX. (1150—1234.)
I. Abtheilung. Die Rechtsquellen.
I. Kap. Die kirchlichen Quellen.
§. 11. Vorerinnerung 39
§. 12. A. Die Sammlungen vor Gratian 40
B. Das Dekret Gratian's.
§.13. 1. Verfasser. Zeit der Abfassung. Titel. Eintheilung. Rubriken.
Paragraphen 46
§. 14. 2. Die Dekrete, Canones und die Paleae 56
§. 15. 3. Gitirart. Ansehen. Bearbeitung. Heutige Geltung. Ausgaben . 64
C. Die Sammlungen von Gratian bis auf Gregor IX.
§. 16. 1. Bis zur Compilatio prima 76
$.17. 2. Die Compilatio prirna des Bernhard von Pavia 7S
§. 18. 3. Die Gompilationen des Gilbertus, Alanus, Rainer, Bernardus,
Compostellanus 82
§. 19. 4. Die Compilatio secunda, tertia, quarta, quinta 87
II. Kapitel. Die Quellen des weltlichen Rechts.
§. 20. A. Das Verhältniss des weltlichen zum kirchlichen Rechte . . 92
§ 21. B. Römisches Recht 103
§. 22. G. Langobardisches, Fränkisches Recht u. s. w 107
II. Abtheilung. Die Literatur. I. Kapitel. Die Schriftsteller und ihre Werke. A. Die Dekretisten.
§. 23. Paucapalea 109
§. 24. Rolandus Bandinellus 114
|0I .S3
VIII
8elte
§. 25. OmniboiiQs 119
§. 26. Rufinus 121
§. 27. Albertus. Gandulphus 130
§. 28. Stephan von Tournay 133
$. 29. Johannes Faventinus 137
§. 30. Simon de Bisiniano 140
§. 31. Sicardus 143
§. 32. Cardinalis 145
§. 33. Laborans 148
§. 34. Jobannes Hispanus 149
§. 35. Melendus. Silvester. Urso. Anseimus. Butirus. D. Petrus Hispanus 151
§. 36. Bazianus 154
§. 37. Huguccio 156
§. 38. Benencasa Senensis 170
§. 39. Johannes Teutonicus 172
B. Die Dekretalisten.
§. 40. Bernardus Papiensis 175
§. 41. Hichardus Anglicus 183
§. 42. Rodoicus Modici-Passus. Bertrandus. Laborans 186
§. 43. Gilbertus. Alanus. Johannes Galensis 187
§. 44. Bernardus Gompostellanus antiquus. Laurentius Hispanus. Petrus
Hispanus. Vincentius Hispanus 190
§. 45. Damasus Boemus. Paulus Ungarus 194
§. 46. Gratia 197
§. 47. Lanfrancus 198
§. 48. Tancred 199
§. 49. Jacobus de Albenga 205
§. 50. Petrus Blesensis junior 207
§. 51. Robertus Flainesburiensis . . . 208
Zusatz 211
IL Kapitel. Die Methode.
§. 52. 1. In der Schule 212
§. 53. 2. In den Schriften 215
III. Kapitel. Uebersicht der Schriften.
§. 54. Vorerinnerung 220
A. Zum Dekrete.
§. 55. 1. Die Glosse 221
§. 56. 2. Summen. Kommentare. Excerpta u. s. w 223
B. Zu den Dekretalen.
§. 57. 1. Die Glosse 228
§. 58. 2. Notabilia. Summen 229
G. Die Monographieen.
§. 59. 1. Einleitungen 230
§. 60. .2. Systematische Schriften. Traktate 231
§. 61. 3. Quaestionen. Casus. Casuistische Schriften 234
§. 62. 4. Römisch-rechtlich-canonistische Schriften 236
Anhang.
1. Johannes Andrea in Novella in decretales prooemium 240
2. Johannes Andrea, Additio ad Speculum Guil. Durantis in prooemio
§. Porro 240
3. Tancred, Einleitung zur Compilatio III 244
4. Vorrede der Summa Rufini 245
5. Zum Decretum abbreviatum des Omnibonus in P. 1 250
6. Vorrede der Summa des Stephanus von Tournay 251
Wortregister 258
Verzeichniss der Druckfehler 265
Einleitung. Erstes Kapitel.
I. Uehersiclit.
Wir müssen zuerst die Werke besprechen, aus denen die Kenntniss der Schriftsteller und ihrer Schriften zu entnehmen ist, sodann die Ar- beiten über die Quellen des Rechts selbst. Da jedoch von Schriften der letzteren Art nur wenige Monographieen und ilufsätze existiren, in den allgemeineren Werken hingegen Quellen und Literatur verbunden werden, so darf sich dieses Kapitel auf die zu nennenden beschränken; die Schriften über die einzelnen Quellen und Schriftsteller bleiben der besonderen Darstellung vorbehalten. Es kommen demnach hier zwei Arten von Werken zur Besprechung: Quellen der Literaturgeschichte und Schriftsteller über dieselbe.
Zur ersten gehören die von den Ganonisten hinterlassenen Schriften. Wir kennen ohne Zweifel hiit wenigen Ausnahmen alle. Sie sind bald allgemein durch den Druck zugänglich gemacht worden, bald nur hand- schriftlich im Original oder in Abschriften vorhanden. Die meisten Werke aus der Zeit von 1150 bis ins 13. Jahrhundert sind nur hand- schriftlich erhalten, das Gedruckte ist im Verhältniss zu den handschrift- lich vorhandenen Werken nicht gross. Wer folglich ein Urtheil über jene Literatur aus eigner Anschauung haben will, muss die erhaltenen Handschriften kennen. Aus diesem Grunde ist die Angabe der Werke, worin Kunde der betreffenden Handschriften gegeben wird, ebenso nöthig, als die Aufzählung der Sammlungen von Schriften; die ge- druckten Ausgaben sind bei den einzelnen anzugeben oder doch nach- zuweisen, wo sie zu finden sind. Vom 13. Jahrhundert ab sind wir für die meisten Werke in der Lage, Drucke zu benutzen. Da indessen,
Schulte , Geschichte. I, Bd. 1
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abgesehen von ganz wenigen Werken, wissenschaftlich genügende Aus- gaben der Schriften des 13. Jahrhunderts nicht existiren, ebenfalls manche Schriften ans ihm nur handschriftlieh vorliegen, da weiter die handschriftliche Verbreitung vorzüglich ermöglicht, ein Urtheil über den Gebrauch und die Verbreitung einer Schrift zu fällen, so ist die Kennt- nis.- der Handschriften von entscheidender Wichtigkeit.
Hinsichtlich der Schriftsteller über die Literaturgeschichte kann man eine dreifache Theilung machen : Schriften über die canonistische Literatur (und Quellen) im Allgemeinen, Schriften über die Schriftsteller einzelner Orte und Länder, allgemeine Werke, aus denen Notizen über Ganonisten zu entnehmen sind. Bei den einzelnen Werken ist eine kurze Angabe ihres Werthes und der aus ihnen zu hoffenden Ausbeute am Platze.
In diesem Kapitel sind die für alle Perioden in Betracht kommen- den Werke anzugeben; die Werke, welche nur einzelne Perioden be- handeln, sollen gelegentlich derselben besprochen werden.
An diese Darstellung muss sich nothwendig eine Schilderung der äusseren Art der Darstellung des Bechts reihen. Da für diese im 12. und theilweise im 13. und 14. der Schwerpunkt in dem mündlichen Vortrage liegt, so ist eine Darstellung des Universitätswesens geboten. Jedoch ist schon an diesem Orte auf Eins aufmerksam zu machen. Für die Bearbeitung des Bömischen Bechts bildet Bologna in der Zeit vom 12. bis ins Ende des 14. Jahrhunderts so sehr den Schwer- und Mittelpunkt der Bearbeitung, dass die ausserbolognesische Literatur, so bedeutend auch einzelne ihrer Leistungen sind, gegenüber der bologne- sischen umfänglich in den Hintergrund tritt. Was das canonische Becht betrifft, so bildet zwar Bologna gleichfalls den Ausgangspunkt, behauptet auch bis in's Ende des 14. Jahrhunderts das Ueberge wicht, aber neben ihm wird sofort auch anderwärts in Italien, in Frankreich und in Deutsch- land canonisches Recht wissenschaftlich bearbeitet. Diese Verschieden- heit erklärt sich leicht, wenn man beachtet, dass die allgemeine Re- ception des Dekrets schon aus dem Grunde bald erfolgen konnte, weil sein Rechtsstoff zum grössten Theile bereits durch die ihm zur Quelle dienenden Canonessammlungen zur allgemeinen Kenntniss und Geltung gelangt war. Hierzu kommt, dass das Dekret sehr bald in Rom in unbedingte Aufnahme kam und dadurch als gemeingültige Quelle er- scheinen konnte. Für die Dekretalensammlungen trat dies in noch höherem Grade ein. Aus dieser Thatsache erklärt sich die Form der canonistischen Literatur, in der sofort der eigentliche Schwerpunkt nicht in der Glosse, sondern in verarbeitenden Schriften lag. Eine zweite Verschiedenheit von der romanistischen Literatur ruht hinwiederum auf analogem Grunde. Ehe die Aufnahme des römischen Rechts in Deutsch-
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land als abgeschlossen angesehen werden konnte, waren seine Quellen und viele Schriften über dasselbe durch den Druck zugänglich; vorher gab es ausser Italien nur wenige Orte, wo es förmlich gelehrt wurde. Die Zahl der Handschriften der einzelnen Theile des Corpus iuris civilis ist daher im Vergleich zu der Anzahl von Handschriften des Decretum und der Dekretalensammlungen eine geringe. Hingegen wurden diese Quellen des canonischen Rechts früh überallhin verbreitet; sie konnten in keiner Diöcese entbehrt werden. Die blosse Glosse genügte theils überhaupt nicht, theils forderte sie einen Lehrer. So erklärt sich die frühe Abfassung und grosse Verbreitung von Schriften mit zusammen- fassender Darstellung. Es ist durch diese Entwicklung gerechtfertigt, wenn die Darstellung nach den einzelnen Ländern von dem Augenblick an geschieden wird, wo der Schwerpunkt lediglich in der schriftstelle- rischen Thätigkeit liegt. Im 12., 13. und 14. Jahrhundert bilden die Universitäten den Mittelpunkt des eigentlichen Studiums. Italien besass in jenen Zeiten nicht blos die bahnbrechende von Bologna, sondern auch die meisten. So wichtig nun einzelne canonistische Werke sind, deren Entstehung in Frankreich und Deutschland zu suchen ist, be- hauptet doch Italien bis tief ins 15. Jahrhundert hinein den unbedingten Vorrang; dasselbe hat bis tief ins vorige bedeutende Leistungen auf- zuweisen. Aber die Verfasser waren nicht immer Italiener; vielmehr hat Deutschland, England, Frankreich und Spanien eine Fülle geliefert. Vom 15. Jahrhundert an entwickelt sich in Frankreich und Spanien eine reiche Literatur; während aber die französische im 16. Jahrhundert einen hohen wissenschaftlichen Aufschwung nimmt, sinkt die spanische seit dem Ausgange des 16. Jahrhunderts immer tiefer. Desto höher hebt sich im Anschlüsse an die historischen Studien seit dem 16. Jahr- hundert die Literatur in Deutschland und kurze Zeit in den Nieder- landen. Bilden einzelne Gommentare von Deutschen aus dem 17. und 18. Jahrhundert bis auf den heutigen Tag die Fundgrube der curi au- sfischen Canonistik, so ist im Anschlüsse an die kritische Richtung des vorigen Jahrhunderts, vor Allem aber zufolge der mit Hugo beginnen- den historischen Schule, durch die Arbeiten von Katholiken und Pro- testanten das canonische Recht in Deutschland in der Art wissenschaft- lich bearbeitet worden, dass die deutsche Literatur seit 50 Jahren die aller übrigen Länder in den Schatten stellt. Die geringsten Leistungen hat England aufzuweisen. —
Blicken wir auf die gesammte Literatur, so ergeben sich aus inneren Gesichtspunkten verschiedene Perioden. Zunächst lassen sich nach der Form und dem äusseren Charakter der Schriften drei Perioden unterscheiden : die Periode der Glossatoren von 1150 bis etwa 1350, der Commentatoren bis ins 18. Jahrhundert, der systematischen Bearbeitung»
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Bei der Darstellung selbst darf diese Periodisirung sowohl wegen der Ungleichheil des Um längs als auch deshalb nicht zu Grunde gelegt weiden, weil sie zu allen Zeiten bedeutende Ausnahmen hat. Man kann weiter folgenderweise nach sachlichen Momenten scheiden: eine Periode der Interpretation (ihr gehört an die Literatur bis etwa um 1280); die scholastische Zeit, welche theilweise (bei Italienern, Spaniern, Franzosen und den deutschen Neuscholastikern, selbst solchen, die gleich Phillips der historischen Schule angehören), bis in die Gegenwart reicht; die kritische vom 16. Jahrhundert bis ins 19.; die historische. Weil aber in Werken aller Zeiten vielfach die gleiche Form herrscht, das Interpretiren auch bei den Scholastikern scheinbar vorkommt, eine scharfe Sonderung überhaupt nicht immer möglich ist, eignet sich auch diese Theilung nicht. Schliesst man sich der Entwicklung des Rechts selbst an, so kommt man zu den im Folgenden zur Grundlage der Abtheilung genommenen vier Perioden: von der Mitte des 12. Jahr- hunderts bis auf Gregor IX.; von diesem bis nach der Mitte des 16. Jahrhunderts ; von da bis in das Ende des 18. ; die Neuzeit.
Von 1150 bis 1234 liegt der Schwerpunkt der Literatur für die längste Zeit in der Glosse und in den Schriften über das Dekret. Letztere werden freilich seit dem Ausgange des 12. Jahrhunderts die Ausnahme, aber durch die Hereinziehung der Dekretalen in die Glosse des Dekrets, welche vor den 11. November 1215 fällt, sowie durch den Umstand, dass die Dekretalen kein einheitliches Ganze bildeten, vor Allem durch die unbedingte Präponderanz der Dekretisten darf man diese Periode als die Periode der Dekretsliteratur bezeichnen. Sie charakterisirt sich durch eine wenngleich häufig naive Originalität; in ihr ist recht eigentlich das canonische Recht zur Wissenschaft ge- worden ; diese hat dasselbe an der Hand rein juristischer Sätze, und zwar fast ausschliesslich römischer, in seinen Einzelnheiten ausgebildet; diese Durchbildung machte den Päpsten die stattgehabte rein juristische Gonstruction des Kirchenwesens bis ins Kleinste hinein möglich. Es ist bezeichnend, dass derjenige Papst, welcher vorzüglich dies Verdienst hat, Alexander III., zu den ältesten Schriftstellern über das Dekret ge- hört. Von seiner Zeit an musste das Dekret im Studium mit den Dekretalen den Platz theilen. Aber bis auf Innocenz III. berücksichtigte man die Dekretalen nur beim Studium des Dekrets, führte sie als Be- lege, als derogirencl oder Neues setzend an. Auch nachdem die grosse Sammlung Bernhard's von Pavia gemacht war, hat Huguccio in seiner Summe nach Umfang und Werth eines der grössten Werke geliefert, welche die canonistische Literatur besitzt. Nunmehr wendet sich die Sache. Die Dekretalensammlungen mehren sich, der Papst Innocenz III. verkündigt die seinige geradezu als ein Gesetzbuch. Wir stehen in
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der Zeit, wo die Staatsgewalt der Päpste vollständig abgeschlossen ist und die letzten Schritte geschahen, um die päpstliche Obergewalt zur centralen und unbeschränkten innerhalb der Kirche zu machen, um dann bald zur absoluten theoretischen und praktischen Unterwerfung des Kaiserthums, d. h. der Staaten unter den päpstlichen Willen, zu schreiten. Da an der Wende wird die Glosse des Dekrets von einem Deutschen für alle Folgezeit fixirt. Mit ihr hört eigentlich die Literatur des Dekrets auf; was später geschrieben wurde, besteht in Nachträgen, Zusätzen, Wiederholungen, Interpretation des Alten im neuen Geiste. Die Literatur der Dekretalen tritt an die Stelle. Bis diese aber von Gregor IX. eine einheitliche Fassung erhielten, geht wissenschaftlich die Dekretsliteratur fort. —
Schon hier ist der Ort, die Grundsätze für die äussere Anord- nung des Stoffes anzugeben. Diese entnehme ich für die erste Periode ausschliesslich dem, was die Geschichte bietet. Danach kann weder ein bestimmter Ort, wie etwa für das römische Recht Bologna, als Mittelpunkt aufgestellt werden, noch lässt sich die Literatur um einzelne Personen gruppiren. Somit bleibt nur die Darstellung nach Materien oder die chronologische nach den Personen. Es soll kein blos biogra- phisches Werk geliefert werden, sondern eine wirkliche Geschichte der Literatur. Aus diesem Grunde ist die Darstellung nach Materien noth- wendig. Um aber die dadurch nöthigen Wiederholungen auf das ge- ringste Mass herabzumindern und sowohl bezüglich der Schriftsteller, als bezüglich der Werke die Uebersichtlichkeit zu wahren, habe ich eine Trennung vorgenommen nach den beiden Abschnitten : Die Lite- ratur des Dekrets und die DekretalenUteratur. Innerhalb dieser Ab- schnitte muss aber nach den Arten der Werke von Neuem unter- schieden werden. Das ist, während es für die heutige Zeit falsch wäre, für die ältere Zeit um so nöthiger, als sich ganz scharf ausgeprägte Gruppen von Schriften vorfinden, wie es im Geiste einer Zeit lag, wo einerseits die Schule im eigentlichsten Sinne zur Gleichförmigkeit führte, andrerseits in der geistigen Richtung, in dem gleichmässigen Denken und Forschen, endlich in der Art des Rechtsmateriales selbst die Me- thode gewissermassen gegeben war. Verschafft diese Art der Dar- stellung dem Leser auch äusserlich ein wirkliches Bild der Literatur, so werden die Biographieen wesentlich zum Verständniss beitragen, da die Bildung und soziale Stellung eines Schriftstellers offenbar für die Bedeutung seiner Werke massgebend sein kann. So wird hoffentlich einerseits eine möglichst genügende Bekanntschaft mit denjenigen Män- nern vermittelt, deren wir dankbar gedenken müssen, andrerseits ein Einblick in die wirkliche Gestaltung der Literatur gewonnen. — Für die folgenden Perioden wird die äussere Anordnung des Stoffes sich
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verschieden gestalten. Die Begründung dessen und die Charakterisirung des Entwicklungsganges bleiben am besten der späteren Darstellung selbst vorbehalten.
II. Quellen der Literaturgeschichte.
§. 2.
a. Sammlungen von Schriften.
Eine grosse Zahl von monographischen Arbeiten liegt gedruckt nur in Sammelwerken vor oder ist doch nur durch solche allgemein zugänglich ; die Aufzählung derjenigen, welche bis zum 17. Jahrhundert reichen, muss schon hier folgen:
Tractatus ex variis juris interpretibus collecti. Lugd. 1549 fol. 17
Voll, und ein Registerband. Tractatus universi juris. Venet. apud Zilettum. 1584 fol. 18 Bde. in 25 Partes mit 4 Bdn. Register. Inhaltsangabe und alphabe- tisches Register der Schriften in König, Lehrb. d. Jurist. Literatur, Halle 1785. S. 43—45, 653—710. Repetitiones. Lugd. 1 533 fol. 9 Bde. (der 9. Register)/ Repetitiones. Venet. 1608 fol. 9 Bde. (der 9. Register). Selectae Quaestiones juris variae. Colon, apud G. Galenium et hered.
J. Quentelii. 1570 fol. Quaestiones juris variae ac selectae. Lugd. 1572 fol.
Andere bei v. Savigny, Geschichte III. S. 3. Der grösste Theil der Traktate u. s. w. gehört dem römischen Rechte an; viele zugleich civilistische Schriften rühren von Ganonisten her.
Die neueren zählt auf mein Lehrbuch des kathol. Kirchenrechts, 3. Aufl. S. 123 ff.
§. 3.
b. Handschriften-Verzeichnisse.
Vorab ist zu bemerken, dass die meisten Kataloge nicht von Fach- männern bearbeitet sind, vielfach rein äusserliche Beschreibungen ent- halten und nur zur ungefähren Orientirung darüber dienen, ob eine Handschrift überhaupt Canonistisches enthalte, ausser wenn auf den ersten Blick aus ihr der Verfasser, der Titel der Schrift u. s. w. zu entnehmen ist. Die älteren Handschriftenkataloge sind meist unbrauchbar, weil die Bibliotheken nicht mehr existiren oder ihre Werke zerstreut sind. Beschreibungen von Werken, welche an und für sich erschöpfend wären, oder doch in irgend welchen Beziehungen Anhaltspunkte böten selbst
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im Falle des Verlustes der betreffenden Bücher, sind selten geboten worden. Die canonistischen Handschriften befanden sich in früheren Zeiten durchweg in den Bibliotheken der Stifte, Klöster und Kirchen. Die noch bestehenden Klöster besitzen zum Theil noch herrliche Bibliotheken ; manche sind freilich durch Brand, Plünderung u. s. w. zu Grunde ge- gangen. In Folge der Säcularisation wurden die Schätze vieler an einem Orte aufgehäuft. Diese grossen Bibliotheken sind für die Wissen- schaft ein Glück und müssen für denjenigen als eine Wohlthat an- gesehen werden, der gleich mir weiss, welche Opfer an Zeit und Geld es kostet, auf den einzelnen Bibliotheken zu arbeiten. Eine Aufzählung der meisten älteren Kataloge ist aus den angeführten Gründen zwecklos.
Von allgemeineren Katalogen sind zu nennen : Gust. Hänel, Gatalogi librorum manuscriptorum, qui in Bibliothecis Galliae, Helvetiae, Belgü, Britanniae M., Hispaniae, Lusitaniae asservantur, nunc primum editi a D. G. H. Lipisiae 1830. 4.
Ein Werk grossen Verdienstes, weil es zuerst obgleich nur meist durch Wiedergabe der Bibliothekskataloge die Kenntniss der in den genannten Ländern existirenden Handschriften ermöglichte, über die Bibliotheken kurze Notizen giebt und die Literatur über sie anführt. Was die canoni- stischen Handschriften betrifft, so kann es durchweg nur zur ersten Orientirung benutzt werden, da Hänel sie regelmässig nicht selbst unter- sucht hat, die Angaben der Kataloge aber sehr oft falsch sind; ich führe daher nur dann Handschriften daraus an, wenn dies sicher ge- schehen kann und sie mir nicht selbst bekannt sind.
Bibliotheca bibliothecarum manuscriptorum nova. cet. aut. Bern, de Montfaucon. Paris 1739. 2 T. fol.
Enthält die Bibl. Roms, Neapels, Florenz und andere Italiens, eine spanische, englische, französische. Aus dem angeführten Grunde ist gerade dies Werk wenig mehr zu gebrauchen; auch sind die Be- schreibungen als solche für wissenschaftliche Zwecke nicht genügend.
Im Serapeum von Naumann (1840 — 1869) stehen verschiedene Handschriftenverzeichnisse, welche jedoch für das canonische Recht wenig bieten; sie werden gelegentlich angeführt werden.
Im Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde von Pertz sind verschiedene Kataloge, z. B. für die Stifte: Adtnont (VII. 162 von Muchar, X. 631 von Wattenbach), Kremsmünster (VL 196), Mimfeld (III. 565, VI. 185), Seitenstetten (VI. 194), Voran (X. 626 von Wattenbach).
Deutsche Bibliothek s- Kataloge.
Die gedruckten auch in Jul. Petzholdt Adressbuch der Bibliotheken Deutschlands u. s. w., Dresden 1874 (neue Bearbeitung von dessen
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Handbuch deutscher Bibliotheken, Halle 1853). Für das canonische Recht steht fast obenan die Bibliothek von Bamberg :
Heinr. Joach. Jäck, .Vollständige Beschreibung der öff. Bibl. zu Bam- berg. 1. Bd. Beschreib, v. mehr als 1000 z. Theil noch un- gedruckt. Handschr. v. 8. bis 18. Jahrh. auf Pergam. u. s. w. Nürnb. 1831. 8. Auf Bamberg folgt die Münchener Hof- und Staatsbibliothek : Gatalogus codicum latinorum Bibliothecae regiae Monacensis. Com- posuerunt Gar, Halm et Georg. Laubmann. Monach. 1868 ff. Tom. I. P. 1. 2. 3 (auch Guil. Meyer). Dann die Wiener Hofbibliothek: Tabulae codicum manuscriptorum praeter graecos et orientales in bibliotheca palatina Vindobonensi asservatorum ed. academia Caesarea Vindobonensis. Vol. 1 — 6. 1864 — 73. Vindob. Reichhaltig sind ferner die Bibliotheken : der Universität von Würz- burg, Breslau, Halle, Heidelberg, von denen keine gedruckten Kataloge existiren. Manches bietet die Universitätsbibliothek von Erlangen: Joh. Cour. Jrmischer, Handschriften-Katalog der königl. Universitäts- bibliothek zu Erlangen. Frankf. a. M. und Erlang. 1852. Für die Literatur des 13. und der folg. Jahrh. auch Königsberg : Gatalogus codicum manuscriptorum bibliothecae regiae et universi- tatis Regiomontanae. Fase. I. Cod. ad iurisprudentiam perti- nentes digessit et descripsit Aem. Jul. Hugo Steffenhagen, etc. Regiom. 1861. 4. Für die Leipziger Universitätsbibliothek ist der Katalog von Feller Cat. Cod. Mss. bibl. Paulinae Lips. 1686. 12. der einzige gedruckte; er war für seine Zeit von Werth, entspricht aber unseren Anforderungen nicht mehr. Für die Stadtbibliothek siehe Naumann Catalogus libror. ms. cet. Grimae 1838.
Letztere hat nur einzelne canonistische MS., erstere ist sehr reich und hat, wie sich zeigen wird, Unica. — Giessen : J. V. Adrian Gatalogus Godd. ms. bibl. academ. Gies. cet. Francof. 1840. 4. Bietet nur wenig. Die Prager Bibliotheken, welche zum Theil reich sind, habe ich beschrieben in :
Schulte, Die canonistischen Handschriften der Bibl. 1. der k.k. Univ.,
2. des böhm. Museums, 3. des Fürsten G. Lobkowitz, 4. des
Metrop. Kapitels von St. Veit in Prag, Prag 1868. 4. 115 Seiten
[Abhandl. der k. böhm. Gesellsch. d. Wiss. VI. Folge II. Bd.].
von den niederösterr. Stiftsbibliotheken vier in meiner Abhandlung :
Die Rechtshandschriften der Stiftsbibl. von Göttweig, Heiligenkreiiz,
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Klosterneuburg, Schotten in Wien. Wien 1868 [LVII. Bd. der
Sitz. Ber. d. hist. phil. Gl. d. kais. Akad. d. Wiss. S. 558—616.] Die 1866 der Domkirche zu Cöln aus Darmstadt zurückgegebene Bibliothek, beschrieben in:
Catalogus codicum bibliothecae Eccl. Metropolitanae Goloniensis von
Hartzheim ist für die Literaturgeschichte seit dem Dekret von keiner Bedeutung. Stift St Florian: Die Handschriften der Stiftsbibliothek St. Florian von Albin Czerny.
Linz 1871. In den Bibliotheken zu Bamberg, Basel (Univ.), Berlin (Staatsbibl.), Cassel (Landesbibl.) , Darmstadt (Hofbibl.) , Erfurt (Gymn.), Frank- furt a. M. (Stadtbibl.), Freiburg i. B. (Univ.), Fulda (Landesbibl.), Göt- tingen (Universität), Gotha (herzogt.), Hildesheim (Dom), Leipzig (Univ. und Stadt), Magdeburg (Domgymn.), Mainz (Stadtbibl.), Wolfenbüttel und den bereits angeführten österreichischen und noch anzuführenden aus Frankreich, sowie in verschiedenen anderen Kloster- und Privat- bibliotheken habe ich an Ort und Stelle die Handschriften untersucht; für diese sind meine Anführungen unbedingt zuverlässig. Es ist im Hinblicke auf die Aufzählungen in diesem §. überhaupt unnöthig, auch dort, wo meine Kenntniss der Handschriften keine unmittelbare ist, im einzelnen Falle anzugeben, wo sich Notizen finden. Ich bemerke noch, dass ich aus vielen Bibliotheken die betreffenden Handschriften zum Gebrauche geliehen erhalten habe, auch von manchen, die ich nicht selbst sah, handschriftliche Kataloge besitze. Meine Angaben werden stets das sofortige Auffinden ermöglichen. Da ich jede nicht von mir selbst benutzte Handschrift mit * versehe, kann ich für die unbedingte Zuverlässigkeit hinsichtlich der also bezeichneten nicht einstehen.
Frankreich.
Catalogue general des manuscrits des bibliotheques publiques des de- partements cet. in 4. T. I. Paris 1849, enthält die Kataloge der Bibliotheken des Seminars von Antun, von Laon, de la ville und de l'ecole de medecine von Mont- pellier, von Albi. T. IL, Paris 1855, enthält den Katalog von Troges. T. III., Paris 1861, umfasst die Bibliotheken von Saint- Omer, Epinal, Saint- Die, Saint-Mihiel, Schlettstadt; T. IV. von Arras, Arranches. Boulogne. Schulte, Iter gallicum. Wien 1868 [Sitz.-Ber. d. kaiserl. Akademie. LIX. Bd. S. 353-496] beschreibt die canonist. Handschr. der Bibl. von Alencon, Angers, Avignon, Garpentras, Ghartres, Grenoble, Lyon, Marseille, Montpellier
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(Stadt u. Univ.), Nimes, Toulouse, Tours und von Genf. Ich habe durch diese Schrill die betreffende Partie des Gat. gen., des Hänel'schen Ka- talogs, sowie die von mir in dieser Schrift angeführten Spezialkataloge anderer Bibliotheken für das canonische Recht entbehrlich gemacht. Clermont-Ferrand. Gatalogue des livres imprimes et manuscrits de la bibl. de la ville de G.-F. (Puy-de-Döme) mis en ordre par 7/. Gonod. Clermont-Ferrand 1839. Douai. Notice de manuscrits concernant la legislation du moyen-äge,
par M. TaiUiar. Douai 1847. Orleans. Manuscrits de la bibl. d' Orleans ou Notices etc. par A. Septier. Orleans 1820. Der Katalog der Pariser Bibliothek geht bisher auf die Rechts- handschriften nicht ein; die alten sind keine vollständige; auch sind die Nummern vielfach geändert.
B-elg i e n.
* Brüssel. Catalogue des manuscrits de la bibl. royale des ducs de Bourgogne. Brux. et Leipz. 1842. 3 voll. fol. Gent. J. de Saint-Genois Gatalogue des manuscrits de la bibl. de la ville et de l'universite de Gand. 1849—52.
Italien.
Bibliotheca libroruni manuscriptorum italica. Indices bibliothecarum
Italiae etc. cong. Fr id. Blume. Göttingae 1834. Nur zur ersten
Orientirung geeignet. Florenz. Gatalogus Godicum latinorum Bibliothecae Medicae Lauren-
tianae rec. illustr. ed. Angel. Maria Bandinns. Flor. 1774 — 78.
5 voll. fol. Die canonist. in I. u. II. Jos. Valentinelli Bibl. manuscripta ad S. Maroi Venetiarum, God.
ms. lat. T. 1—5. Venet. 1868—72 (nur 1. u. 2. für das Recht).
England.
Gatalogi librorum manuscriptorum Angliae et Hiberniae. Oxon.
1697. fol. Henr. 0. Coxe, Gatalogi Godicum ms. bibl. Bodleianae. Oxon. 1868. P. II. (codd. lat.) Fase. 1 ; P. III. 1854. Forts, von dess. Gatal. codicum mss. qui in collegiis aulisque Oxoniensibus hodie ad- servantur. Oxon. 1852. 2 Bde. 4. Die Bibliotheea latina iuris canonici manuscripta von Friedr. Maassen, Wien 1860 f. 3 Hefte bietet bisher nichts für unsere Zwecke.
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§• 4.
c. Bücherverzeichnisse.
Von den älteren Werken sind lediglich zu nennen:
Repertorium bibliographicum, in quo libri omnes ab arte typogra-
phica inventa usque ad annum MD. typis expressi ordine alpha-
betico vel simpliciter enumerantur vel aecuratius recensentur.
Opera Ludovici Hain. Stuttg. et Lut. Paris 1826 — 38. 4 Bde.
Das beste Werk für die Incunabeln, jedoch, wie sich mehrfach
zeigen wird, für das canon. Recht nicht ganz vollständig.
Georg Wolfg. Panzer Annales typographici ab artis inventae origine ad annum MD. post Maittarii Denisii . . . curas etc. Norimb. 1793 — 1803. 11 Bde. 4. Von demselben : Annalen der älteren deutschen Literatur u. s. w. bis 1520. Nürnb. 1788. Zusätze 1805. Zweiter Bd. (von 1520—1521) 1805. 3 Bde. 4. Manuel du libraire et de l'amateur des livres, par Jacques-Charles
Brunet. Par. 1842—44. 10 tom. Dazu die Bibl. realis juridica A. Mart. Lipenii. Francof. 1679. fol. neu edirt zuletzt Leipz. 1757 fol. mit Zusätzen Verschiedener; Supplement von A. F. Schott ,■ Lips. 1775 fol.; B. C. de Senkenberg, dasselbe 1789 fol.; L. G. Maclihn, Vratisl. s. a. (1816) fol. Die Bücherverzeichnisse von Heinsius, Kaiser, Er seh, Hinrichs u. s. w. brauchen als allgemein bekannt und zugänglich nicht näher angeführt zu werden.
§. 5. d. Sonstige Quellen.
Dazu gehören : Inschriften besonders auf Grabmälern, Medaillen auf Gelehrte, Bildnisse u. dgl. m. Die Sammlungen solcher gibt v. Sa- vigny, Gesch. III. S. 13 ff. Ein. reiches Material für die Lebensgeschichte bieten die Urkunden. Da jedoch — das sogen. Galendarium archigymnasii Bononiensis ist eine Fälschung des Advokaten und Professors Alessan- dro Machiavelli, geb. 1693 f 1766 zu Bologna: v. Savigny III. S. 11 ff. — eine eigne Sammlung solcher für unseren Zweck nicht existirt, bedarf es keiner Aufzählung von Sammlungen; die benutzten sind an ihrer Stelle nachzuweisen.
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III. Schriftsteller.
§. 6.
a. Schriften über die Literaturgeschichte des canonischen Rechts
überhaupt.
Abgesehen von einzelnen Notizen finden sich im Mittelalter nur Versuche der Art. Diese sind bereits von Savigny gewürdigt worden, so dass es genügt, auf ihn zu verweisen und zu ergänzen. Die folgende Zusammenstellung ist chronologisch.
Johannes Andrea, geb. etwa 1270 f 1348 [vorläufig mein Lehr- buch 3. Aufl. S. 86 ff. Seine Biographie folgt im 2. Bande]. Er gibt in dem proemium der Novella in decretales Greg. IX. voce Novella §. Dennnn contemporanei eine Uebersicht der Schriftsteller, aus deren Werken Bemardus Parmensis den Apparat zu den Dekretalen gemacht habe, und fügt bei die mit BerUard gleichzeitigen und ihm folgenden: meine Beiträge z. Lit. d. Dekretal. S. 3 ff. Diese Mittheilungen hat er später in den Additiones zum proemium des Sjpeculum von Guil. Durands, wo die Ganonisten aufgezählt werden, in einer doppelten Weise vervollständigt, indem er einmal Durantis corrigirt und ergänzt, sodann die Prozessualisten bis auf seine Zeit angiebt. Abgedr. im An- liange, auch bei v. Savigny III. S. 631 ff. (jedoch mit manchen Druck- fehlern, von denen die Ausgaben wimmeln). Vgl. dem. III. S. 31 f. meine Lit. Gesch. d. Comp. ant. S. 18 ff.
Ausserdem finden sich unendlich zahlreiche Bemerkungen in seinen Werken vor über Schriften und deren Benutzung durch Andere. Diese planmässige Angabe der Literatur gestattet uns, Johannes Andrea als den ersten Literarhistoriker unseres Faches anzusehen. Obwohl seine Angaben nicht vollständig sind, wie sich öfter zeigen wird, bleiben sie von grossem Werthe, weil er durchweg aus eigner Kenntniss schöpft, seine Angaben mit Gitaten aus der Glosse und durch Anführung der Anfangsworte einzelner Schriften belegt. Hierdurch ist es mehrfach gelungen, die Verfasser festzustellen.
Wilhelmus de Pastrengo (Veronensis), f wahrsch. zw. 1361 u. 1370 in dem Werke de viribus illustribus, in der Ausgabe betitelt De ori- ginibus rerum libellus authore Gulielmo Pastregico »Veronense«. Venet. 1547. 8. Siehe v. Savigny III. S. 32 ff.
Baldus de Ubaldis, f 1400, schrieb ein nicht mehr bekanntes oder verloren gegangenes Werk de commemoratione famosissimorum docto- rum in utroque iure; v. Savigny IH. S. 34 f.
Jo. Baptista de Gazalupis (Caccialupus Severinas, de Gacc. de s. Severino), hat im 5. Kapitel (documentum) seines Modus studendi in
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utroque iure (verfasst 1467 von ihm als Professor zu Siena) ein Ver- zeichniss von Juristen bis zum J. 1462 gegeben. Ausgaben u. Inhalt bei v. Savigny III. S. 35 ff. Stintzing, Popul. Lit. S. 36 ff. Ich benutze die Ausg. hinter Panzirolus, Lips. 1721.
Aus ihm ist, wie Savigny III. S. 38 f. hervorhebt, excerpirt die tractatio de iur isper itis des Catellianus Cotta, welche, einem 1511 zu- erst gedruckten Werke desselben entnommen, hinter der Ausgabe von Panzirolus Lips. 1721 abgedruckt ist.
Johannes Trithemius, f 1516, De scriptoribus ecclesiasticis. Für das canonische Recht, insbesondere die Zeit des 12. und 13. Jahrh., ist das Werk ziemlich werthlos, da dem Verfasser die meisten und be- deutendsten Werke nicht vorlagen und seine Notizen überhaupt so mager sind, dass sie kaum nützen. Drucke: Mainz 1494 ap. Petr. Fridbergium. f., Basel 1494 [Hain 15613], Parisiis 1497. 4. [Hain 15614]. Schriften über ihn bei Potthast Bibl. p. 552. Supplem. p. 116. Auch sein Werk De viribus illustribus ordinis s. Benedicti libri IV. (Gol. 1575 u. in opp. Mog. 1605 fol. N. 2.) kommt in Betracht.
Thomas Diplovataccius, geb. 1468 f 1541. De praestantia docto- rum. Erschöpfend v. Savigny III. S. 40 ff. Ich benutze die Savigny'sche (von ihm der Berliner Bibl. geschenkte) Abschrift ; einzelne Biographieen sind bei Sarti abgedruckt.
Johann Fichard, geb. 1512 f 1581. Vitarum recentiorum Jure- consultorum periochae. v. Savigny III. S. 48 ff. Ich benutze die Aus- gabe hinter Panzirolus.
Marcus Mantua Benavidius, geb. 1489 f 1582. Epitome virorum illustrium qui vel docuerunt in scholis jurisprudentiam vel de iure scripserunt. v. Savigny III. S. 51 f. Ich benutze die Ausgabe hinter Panzirolus.
Guido Panzirolus, geb. zu Reggio 1523 f zu Padua 1599. De claris legum interpretibus libri IV. Hierher gehört L. II. cap. I — XII. über die Verfassung der Universitäten, L. III. de juris pontificii inter- pretibus, L. IL soweit einzelne Givilisten auch für das canonische Recht Bedeutung haben, L. IV. das die Universitäten verzeichnet, dann die Juristen nach den Rubriken Principes, Monachi, Ordinis Praedicatorum, Episcopi, Gardinales, Pontifices maximi, Sancti zusammenstellt. Drucke: Venet. 1637, 1655, Lips. 1721. 4. Die groben Fehler des Originals und der Ausgaben hebt v. Savigny III. S. 54 ff. hervor. Immerhin be- hält das. Buch für das canonische Recht seinen Werth, da, wie sich zeigen wird, mehrfach Panzirol trotz gegen theiliger bisheriger Annahme das Richtige hat ; er ist die Hauptquelle für manche Spätere, z. B. Doujat, Mastricht, Glück u. A.
Gerh. von Mastricht, geb. zu Göln 1639, zu Basel 1665 promovirt,
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1G(>9 Professor zu Duisburg, 1689 Syndicus zu Bremen, wo er 1721 starb. Jugler Beitr. I. Bd. 2 St. N. 26 S. 328 ff. Seine Historia juris ecdes. et pontificii seu De Ortu, Progressu, Inerementis, Collectionibtis, Auctoritatibusque jur. eccl. et ponh traetatio Duisburg. 1676, Amsterd. 1686 durch Christiom Thomasius Hai. 1705, 1719, ist ohne besondere eigne Forschung, eine blosse Compilation, die sich, soweit die Literatur in Betracht kommt, auf blosse Namen" beschränkt. Vgl. Maassen S. 41.
Jo. Doujat, geb. zu Toulouse 1609, daselbst Advokat 1637, 1651 Professor des canon. Rechts am College royal, nach 4 Jahren an der Jurist. Fakultät zu Paris, f 1688. [Biographie am Ende von L. V. c. 9, die Jahrzahlen sind ergänzt in einigen Ausgaben, z. B. der von 1748]. Sein Werk Praenotatiomim canonicarum libri V. [Ausgaben : Paris 1687, 1697. 4., Venet. 1717 u. 1748. 4., Mitav. et Lips. durch A. F. Schott 1776—79, 2 T.] enthält im L. V. c. 1-9. die Geschichte der Ganonisten, durchweg in magern Excerpten aus Panzirol, nur für die aus dem 16. und 17. Jahrhundert brauchbar.
Christ, Fr id. Glück Praecognita uberiora universae jurisprudentiae ecclesiasticae positivae Germanorum. Hai. 1786. Dies offenbar nach dem Muster von Doujat gemachte Buch ist brauchbar durch Notizen und literarische Nachweise für die Zeit vom 16. Jahrhundert ^ an; für das Mittelalter hat er lediglich Sarti, wo dieser nicht ausreichte, Pan- zirol benutzt.
Joh. Jac, Lang, Gesch. u. Institut, des kath. u. protest. Kirchen- rechts. I. Th. (einziger) Tübing. 1827, enthält für die Literatur nichts als eine Aufzählung allbekannter Namen, für die Geschichte der Rechts- quellen blos Excerpte, die freilich für ihre Zeit nicht ohne alles Ver- dienst waren.
Ge. Phillips Kirchenrecht. 4. Bd. Regensb. 1851. Dieser Band gibt die Geschichte der Quellen und Literatur. Jene hat einzelne selbst- ständige Arbeiten, letztere kommt im Ganzen nicht über Allgemeines hinaus.
Von den übrigen Lehr- und Handbüchern des Kirchenrechts ent- hält nur mein Lehrbuch eine auf den kürzesten Raum gebrachte Lite- raturgeschichte, die jedoch die vollständigste ist, welche bisher existirte.
Friedrich Maassen, Gesch. der Quellen u. der Literatur des canon. Rechts im Abendlande bis zum Ausgange des Mittelalters. 1 Bd. Gratz 1870, umfasst nur die Zeit bis auf Pseudoisidor, kommt also nicht in Betracht.
Friedr. Carl von Savigny, Gesch. des Römischen Rechts im Mittel- alter. 2. Ausg. Heidelb. 1834—1851, 7 Bde. Hier kommt in Betracht Bd. 3 — 7. Dieses Werk bietet für die Universitätsgeschichte des Mittel- alters, soweit die Jurisprudenz in Betracht kommt, für die Methode
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und die Hülfsmittel des Studiums das Beste. In ihm werden jene Canonisten, die zugleich civilistische Werke hinterlassen haben, zum Theil eingehend bearbeitet. Dadurch und wegen der Berührung der beiden Zweige des Rechtsstudiums ist es auch für unseren Zweck ein unentbehrliches Werk. Eine systematische oder irgend umfassende Darstellung des canonischen Rechts und seiner Literatur hat Savigny nicht beabsichtigt ; es fehlte ihm auch die ausreichende Kenntniss von Handschriften. Neues liefert er nur für einzelne Werke von Ganonisten. Der Schwerpunkt des Buchs liegt in den Biographieen, für die Schriften beschränkt es sich oft auf die Angabe der Titel und äusseren Gestalt.
b. Werke für einzelne Länder und Universitäten.
I. Italien überhaupt.
Girolamo TiraboscM , Storia della letteratura Italiana. Moclena 1772-82, 1787— 94 u. ö. Von Bedeutung für die Zeit nach 1300.
G. Mazzuchelli, Gli scrittori d'Italia, Brescia 1753 — 63, 2 Voll, in 2 bez. 4 P. fol. Bologna :
P. Maurus Sarti, Abt von S. Gregorio in Rom, geb. 1709 f 1760, arbeitete auf Veranlassung Benedicts XIV. ein Werk über die Lehrer zu Bologna, das bei seinem Tode unvollendet war; die Fortsetzung wurde von Clemens XIII. dem Abte P. Maurus Fattorini, geb. 1727 f 1789, übertragen. Dieser edirte es u. d. T.
De claris Archigymnasii Bononiensis Professoribus a Saeculo XI. usque
ad Saeculum XIV. Tomi I. Pars I. Bononiae MDGGLXIX. ex
typ. Laelii a Vulpe. Instituti Scientiarum typographi. Tomi I.
P. II. ib. MDGGLXXII. fol. Vom 2. Bande sind nur 40 Seiten
Text u. 54 Seiten Urkunden mit Biographieen von 9 Romanisten
gedruckt.
Sarti gehören die Biographieen aller Ganonisten an; die Urkunden hat
Fattorini zugefügt. Ueber die Geschichte des Buchs, seinen Inhalt und
Werth v. Savigny III. S. 62 ff.
Savigny sagt : »Man kann sagen, class eine Geschichte der Glossa- toren erst durch dieses Werk möglich geworden ist.« Wie richtig das ist, wird Jeder wahrnehmen, der Sarti benutzt und Studien über die Literatur jener Zeit gemacht hat. Ein Blick in Savigny's eignes Werk lehrt, dass es für die Biographie der bolognesischen Juristen bis zum 14. Jahrhundert im Grossen und Ganzen auf Sarti ruhet. Wenn von meiner Darstellung für die bolognesischen Juristen ein Gleiches gelten
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wird, so findel dies seine Erklärung in dem Materiale, aus dem das Werk gemacht ist. Auf Benedicts XIV. Auftrag waren aus allen Rö- mischen Archiven die sich auf Bologna beziehenden Urkunden abge- schrieben und gesammelt worden ; ähnliche Unterstützung fand Sarti in anderen Städten. Man kann sagen, dass für das Leben der Glossa- toren benutzt ist, was sich auffinden Hess. Daraus erklärt sich, dass im Ganzen in biographischer Beziehung für die bolognesischen Juristen nur nachzutragen ist. Trotz dieses Werthes ist Sarti nicht frei von Fehlern, die Savigny bereits dargelegt hat. Ich muss für das canonische Recht offen aussprechen, dass man sich nur sehr selten auf Angaben desselben verlassen darf, welche sich auf die Schriften der Canonisten beziehen. Damit soll nicht gesagt sein, dass etwa der grösste Theil seiner Angaben falsch wäre. Solches ist an sich kaum möglich, weil das Meiste evident ist. Aber es finden sich so viele irrige Angaben, dass man unbedingt vorsichtig sein muss. Savigny selbst ist wieder- holt durch Sarti irregen In/t worden. Der Grund dieses Mangels ist darin gelegen, dass ihm theils sehr wenige Handschriften der Werke zu Gebote standen, theils dieselben von ihm kaum mehr als ganz äusser- lich untersucht wurden. So hoch darum Sarti für die Lebensgeschichte der Bolognesen steht, so ungenügend ist er für den Zweck, der mir als die Hauptsache gilt.
Giovanni Fantuzzi, Notizie degli Scrittori Bolognesi. 1781 — 94. 9 voll. 4. (Savigny gibt fol. an; ich habe das der Wiener Univ. Bibl. gehörige Exemplar benutzt). Dies Werk ist für die Zeit vom 14. Jahr- hundert an für Bologna gerade so werthvoll, wie das von Sarti für die ältere, auch die Hauptquelle von Savigny's Biographieen seit dieser Zeit.
Giov. Nicolö Pasquali Midosi, ci Dottori Bolognesi di legge Gano- nica e civile. Bologna 1620. 4. Appendice Bol. 1623. 4.
Jo. Ant. Bumaldi (Montalbani) Minervalia Bonon. Givium anade- mata s. Bibl. Bonon., Bon. 1641. 12.
Pellegr. Ant. Orlandi, notizie degli scrittori Bolognesi .... Bol. 1714. 4.
Diese drei zuletzt genannten Schriften sind durch Sarti und Fan- tuzzi völlig überflüssig geworden.
Seraf. Mazzetti, Repertorio di tutti i Professori antichi e modern i della famosa universitä e del celebre istituto delle scienze di Bologna. Bol. 1847. Enthält ganz kurze biographische Notizen unter Verweisung auf Sarti, Fantuzzi, Savioli u. s. w.
Zu diesen Werken kommen die übrigen Schriften für die Geschichte Bologna's, insbesondere
Car. Sigonii historiarum Bononiensium libri VI. (Opera ed. Arge- lati, Mediol/l733 fol. T. III.).
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Della historia di Bologna . . . di Cherubino Ghirardacci. P. I. Bol. 1596 (bis 1320). P. IL ib. 1657 fol. (bis 1425.)
Lud. Vitt. Savioli, Annali Bolognesi. Bassano 1784 — 95. 4. 3 voll, in je 2 P. Vgl. v. Savigny III. S. 137 f.
Padua:
Die Werke über die Universität, Statuten u. s. w. bei Savigny III.
§• 101.
Ant. Riccabonus, de gymnasio Patavino. Patav. 1598. 4. (The- saurus Italiae T. VI. P. IV.)
Jac. Phil. Tomasini, gymnasium Patavinum, Utini 1654. 4.
Nie, Comneni Papadopoli, hist. gymn. Patavini, Venet. 1726. fol.
Jac. Facciolati, de gymn. Pat. syntagmata XII. Patavii 1752. 8. Eiusd. fasti gymnasii Pat. Pat. 1757. 4.
Franc. Maria Colle, geb. 1744 f 1815, Storia dello Studio di Pa- dova. Päd. 1824, 25. 4 voll. 4. (ed. von Gius. Vedova.) Dieses Werk hat die früheren im Ganzen abgeschrieben u'id entbehrlich gemacht.
Keine der übrigen italienischen Städte haL für das canonische Recht eine Bedeutung, welche über einzelne Personen hinausgeht. Eine Auf- zählung der bekannten Werke von Muratori u. s. w. ist unnöthig; man findet die vollständigste Angabe derselben in Jul. Ficker, Forschungen zur Reichs- und Rechtsgeschichte Italiens. Innsbruck 1868 — 1874. ■Bd. I. S. 374 ff. III. S. 533.
Einzelnes bietet Grimma literata auct. Franc. Aristo, Parm. 1702. fol.
II. Frankreich.
Histoire literaire de France, in der alten Ausgabe von T. XIII. an.
Ed. Pasquier (1528 — 1615) Recherches de la France.
Caes. Egassii Bulaei, Historia universitatis Parisiensis. 6 voll. Par. 1665-73. fol. Bietet wenig.
Crevier, Histoire de l'universite de Paris. 7 voll. Paris 1761. 12. Meist aus Bulaeus.
Eng. Dubarle, Hist. de l'univ. depuis son origine jusqu'ä nos jours. Par. 1829. 2 T. — v. Savigny III. 338.
III. Spanien.
Nie. Antonn, Bibliotheca Hispana vetus. Rom. 1696. fol. ed. F. P. Bayer, Matriti 1788 fol. (von 1000—1500.)
Quellenwerke für andere Länder in
Äug. Potthast, Bibl. hist. medii aevi. Berlin 1862. Supplement das. 1868.
Schulte, Geschichte. I. Bd. 2
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§. 8. c. Allgemeine biographische Werke.
Melchior Adamus, Vitae Germanorum Jurisconsullorum et Politi- coinni cet, Heidelb. 1620. Frankf. a. M. 1705. fol. Im Ganzen unzu- verlässig, für die Ganonisten höchst ungenügend.
Biographie generale cet. par Firm. Didot (direction de M. Hoefer). Par. 40 voll.; Nouvellc bipgr. gen. Par. 1862— G6, 46 voll. Für das Mittelalter nur Excerpte.
Biographie universelle u. s. w. Par. 1811 — 28, 52 voll, von 1832. par M. Michaud. Supplement bis 1857, im Ganzen 84 voll. Neue Aufl. Nouv. biogr. univ. Par. 1852 ff.
Klement Alois Bader, Das gelehrte Baiern oder Lexicon aller Schrift- steller, welche Baiern im achtzehnten Jahrh. erzeugte oder ernährte. Nürnb. u. Sulzb. 1804 ff. 4 Bde.
Gnil. Cave, Scriptorum ecclcsiasticorum historia litteraria etc. Gol. Allobr. 1720. fol. mit 2 Appcnd. von Henr. Wharton und Rob. Gerius.
J. Alb. Fabricius, Bibl. lat. mediae et infimae aetatis. Hamb. 1734 — 46, 6 vol. cum supplem. Schoettgenii ed. Mansi, Patav. 1754, 6 voll. 4.
F. X. Feiler, Biographie univ. cet. Nouv. ed. par Weiss et Busson. Par. 1847-50, 8 voll.
G essner, Bibliotheca universalis cet. Turigi 1545. fol.
G. C. Hamberger, Zuverlässige Nachrichten von den vornehmsten Schriftstellern u. s. w. Lemgo 1756—64, 4 Bde.
Ders. Kurze Nachrichten u. s. w. Lemgo 1766, 2 Bde.
Ders. Das gelehrte Teutschland u. s. w. fortges. v. Ge. Mensel. 4. Ausg. Lemgo 1783.
Jos. Hartzheim, Bibliotheca Goloniensis cet. Gol. Aug. 1744. fol.
Christ. Gottlieb Jöcher, Allgemeines Gelehrten -Lexicon u. s. w. Leipz. 1750 f. 4 Bde. 4. Forts, u. Ergänz, zu . . . von J. Chr. Adelung das. 1784, 87, 2 Bde. 4. bis J., von H. W. Botermund, Delmenhorst 1810, Bremen 1815—19. 4 Bde. bis R.
Joh. Friedr. Jugler (1714—1785), Bcyträge zur Jurist. Biographie. Leipz. 1773—80, 6 Bde.
G. Mensel, Lexicon der v. J. 1750—1800 verstorbenen deutschen Schriftsteller. Leipz. 1802—16; 15 Bde.
Neues hist. biogr. literar. Handwörterbuch von Sam. Banr, Ulm 1807—16, 7 Bde.
Neuer Nekrolog der Deutschen, (Ilmenau, seit 1835 Weimar, 1824 bis 51) jährlich 2 Bde. (zuerst von F. A. Schmidt.)
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Cas. Oudinus, Corcimentarius de scriptor. eccles. antiquis. cet. Francof. ad M. 1722, 3 T. fol.
Ant. Possewinus, Apparatus sacer cet. Co], Agripp. 1608, 2 T. fol.
Jac. Quetlf et Jac. Echard Scriptores ord. Praedicatorum cet. Lut. Par. 1719, 21; 2 T. fol.
Boderich Stintzing, Gesch. der populären Literatur des römisch-canon. Rechts in Deutschi, am Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrh. Leipz. 1867. Ein vortreffliches, zuverlässiges Werk.
Pierre Taisand, Les vies des plus celebres Jurisconsultes. Par. 1737. 4.
Car. de Visch, Biblioth. scriptor. ord. Gisterc. Gol. Agripp. 1656. 4.
Luc. Wadingus, Biblioth. scriptor. ord. Minorum. Rom. 1650. fol.
Chr. Weidlichen, Gesch. der jetztlebenden Rechtsgelehrten u. s. w. Merseb. 1748.
C. v. Wurzbach, Biogr. Lex. des Kais. Oesterreich. Wien 1856 ff.
Zeitgenossen. Leipz. (Brockhaus) 1816—1841, 18 Bde in 3 Reihen.
Zweites Kapitel.
§• 9. Grundsätze der Behandlung.
Die Hauptaufgabe für den eigentlich literarischen Theil bildet die Feststellung der Verfasser und der Zeit der einzelnen Schriften, sodann deren Bedeutung für die Literatur des Rechts. Diese wird erkannt aus dem Charakter der Werke, Art der Darstellung, den Quellen derselben, der Benutzung bei anderen, Lösung von Rechtsfragen, Aufstellung und Begründung neuer Ansichten u. dgl. m.
I. In manchen Schriften nennt sich der Verfasser selbst in der Vorrede oder im Laufe des Werkes. Weil jedoch oft in Handschriften die Vorreden fehlen, ist es noth wendig, sowohl deren als des Werkes Anfang, geeigneten Falls auch den Schluss mitzutheilen. Dies soll stets befolgt werden, wo es sich nicht um ganz bekannte Schriften handelt. Zugleich ist darauf zu achten , ob nicht der Verfasser andere von ihm gemachte Schriften anführt. So rechtfertigt sich öftere Mittheilung aus Vorreden u. s. w. von selbst. Häufiger noch fehlt der Name des Ver- fassers, oft ist er in Handschriften, besonders späteren, sowie in Drucken falsch angegeben. In solchen Fällen bleiben nur Gombinationen mög- lich. Diese sind fest und zuverlässig, wenn gleichzeitige oder überhaupt zuverlässige Autoren ein Werk einer Person zuschreiben und dabei ent-
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weder dessen Anfang genau angeben, oder Stellen daraus wörtlich an- führen. Dies hat insbesondere Johannes Andrea mehrfach gethan, wes- lialb dessen Schriften, namentlich die Zusätze zum Speculum des Du- rantis und seine Einleitung zur Novella in Dccretales von grosser Wichtigkeit sind. In vielen Fällen sind wir von diesen Hülfsmitteln gänzlich verlassen. Möglicherweise lässt sich der Verfasser alsdann noch aus dem Werke selbst, aus angeführten Thatsachen eruiren. Ge- lingt auch dies nicht, so bleibt nichts übrig, als das Werk nach der Zeit einzureihen. Wollte man die anonymen Schriften nicht berück- sichtigen, so würde man für das canonische Recht einen sehr wichtigen Bestandtheil ignoriren müssen.
Für die Feststellung der Verfasser bildet ein sehr wichtiges Mittel die Kenntniss der Stylen. In den Glossen gebot der Raum die mög- lichste Beschränkung. So lange ein Autor in seinem Exemplare nur seine eignen Glossen beisetzte, . hatte er nicht das ßedürfniss, sie zu be- zeichnen. Ein solches lag vor, wenn er fremde aufnahm, sei es zur Wahrung des Seinigen, sei es zur Abwehr gegen den Vorwurf eines Plagiats. So bildete sich der Gebrauch, durch einzelne Buchstaben, einen oder zwei, am Anfange oder am Ende der Glossen den Verfasser zu bezeichnen. Bei der Abschrift behielt man diese Sigleri bei. Auch haben die Studenten ihre Aufzeichnungen in der Vorlesung mit der Sigle des Lehrers bezeichnet. Wir finden daher im 12. und 13. Jahr- hundert für eine Reihe von Autoren solche stehende Siglen. Man wendete sie aber bald nicht blos in den Glossen, sondern überhaupt auch in selbstständigen Schriften an; es giebt eine Menge von Hand- schriften, in denen der Verfasser im Eingange, in einer Ueberschrift, oder am Ende mit einer Sigle bezeichnet wird. Wegen des gleichen Namens entsteht oft eine Schwierigkeit der Auflösung. Diese muss überwunden werden. Ich habe in verschiedenen Abhandlungen die meisten Siglen festgestellt und werde davon an den betreffenden Orten Gebrauch machen. Die soeben erwähnte häufige Namensgleichheit hat ihren Grund in dem seltenen Vorkommen von Familiennamen. Wie Muratori ausführlich gezeigt hat, kommen noch im 12. und 13. Jahr- hundert auch in Italien Familiennamen seltener vor. Man benennt die Personen mit dem Taufnamen, zu welchem man etwa das Vaterland, den Ort, wo Jemand geboren ist, ein Amt hat, den Namen des Vaters u. s. w. zusetzt, z. B. Johannes Hispanus, Joh. Faventinus, Joh. Teu- tonicus, Joh. Andreae, Simon de Bishiiano, Sicardus Cremonensis ; Ber- nardus Papiensis , Bernardus Parmensis. Durch Auslassung der Bei- wörter kann leicht ein Irrthum entstehen. Hierzu gesellt sich aber häufig noch die verschiedene Schreibweise. Lehrreiche Beispiele liefern die Siglen in der gedruckten Glosse zum Dekret.
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II. Die Entstehungszeit der Schriften ist selbstredend von grösster Wichtigkeit. Sie werden sich in einzelnen Fällen aus einer unmittel- baren Angabe feststellen lassen. Während dies bei den sofort durch den Druck veröffentlichten Schriften aus der Angabe der Zeit und des Ortes in den weitaus meisten Fällen sich sofort ergibt, auch bei den Drucken ohne Ort (s. 1.), ohne Zeit (s. a.), ohne Drucker (s. n. t.; zusammen s. I. a. et n. t. = sine loco, anno et nomine typographi) sich meistens vermittelst äusserer in verschiedenen Werken niedergelegter Kennzeichen feststellen lässt, ist eine Angabe dieser Art bei den Schriften des 12. Jahrhunderts Ausnahme, aber auch bei denen des 13. und 14. nicht die Regel. Wir sind also auf innere Momente angewiesen. Diese sind theils allgemeine, theils besondere für die Ganonisten.
Zu jenen gehören erstens die Jahreszahlen in Formeln, Urkunden, historischen Angaben. Um diese mit Sicherheit zu Grunde zu legen, muss — da kaum bei einer Schrift des 12., 13., 14. Jahrhunderts mit Sicherheit festzustellen ist, ob eine erhaltene Handschrift das Auto- graphon ist — zunächst eruirt werden, ob nicht ein Abschreiber, was öfter geschah, die Angabe auf seine Zeit umgeändert hat, ähnlich wie die Daten am Ende häufig sich auf die Abschrift beziehen, oder ob keine Schreibfehler vorliegen. Haben mehrere alte Handschriften die- selbe Jahreszahl, so kann daraus in etwa, vollends aber dann mit Be- stimmtheit ein Schluss gemacht werden, wenn sich aus Abweichungen derselben ergibt, dass sie nicht von einander abgeschrieben wurden. Es ist dabei weiter zu beachten, ob die Formel etc. fmgirt ist oder etwa eine ältere vorgekommene enthält, da im erstem Falle sich an- nehmen lässt, der Autor habe das Beispiel seiner Zeit entnommen. Diese Vorsicht angewendet, lässt sich sagen, dass das Werk nicht jünger sein kann, als das jüngste Jahr, und dass im Allgemeinen dieses jenes sei, in welchem das Buch gemacht, beziehungsweise an ihm gearbeitet wurde, weil selbstredend grössere Werke längere Zeit brauchten.
Viel sicherer ist zweitens das Vorkommen von Citaten von Schrift- stellern. Es ist natürlich jede Schrift jünger, als eine darin angeführte. Somit bietet jedes derartige Gitat eine relative Zeitbestimmung. Citirt ein Autor nur vereinzelt, so wird sich weiter nichts schliessen lassen; zeigt er aber eine wirkliche Literaturkenntniss , so darf man wohl an- nehmen, dass er die Werke bis auf seine Zeit benutze, mithin das seinige nicht viel jünger sei. Das Missliche aber bleibt auch hier, dass bisweilen die Zeit der angezogenen Schriften selbst nicht feststeht. So kommt es, dass wir bei manchen Werken die Zeit nur nach Decennien feststellen können.
Viel sicherer sind drittens directe historische Angaben, z. B. wenn der Autor sagt: »jetzt regiert Gregor IX.«, »das neulich abgehaltene
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Gonci] vom Lateran«, oder etwa »im ersten Regierungsjahre dos Papstes X.« ii. dgl., weil hier jeder Zweifel entfallt.
Für unsere Wissenschaft besitzen wir noch bessere besondere Mittel, Diese sind die Citate von Quellen, sei es formellen oder mate- riellen. Es ist eine feststehende Thatsache, dass das Dekret Gratians im Laufe des 12. Jahrhunderts durch Aufnahme der Paleae in den Text der Handschriften in vielen Distinctionen und Quästionen eine verschiedene Anzahl von Kapiteln erhielt. Dadurch wurde es, weil die Handschriften abweichen und erst in den Ausgaben des 16. Jahrhunderts (§. 15) die Zahlen beigesetzt wurden, allmälig unmöglich, die Kapitel solcher Distinctionen und Quästionen mit Zahlen zu citiren, und bildete sich der ausschliessliche Gebrauch des öitirens mit dem Anfangsworte. Wenn nun eine Schrift stets oder öfter oder bisweilen und gerade für Distinctionen und Quästionen, welche Paleae haben, namentlich so, dass bei Mitzählung der Paleae das Gitat auf eine solche fiele, mit Ziffern die Kapitel citirt, so ist daraus, weil die Paleae bis zur Glossa ordinaria nicht zum Texte gerechnet wurden, mit Gewissheit zu schliessen, dass sie relativ alt ist, d. h. sich der Entstehungszeit des Dekrets nähert. Aus dem Ende des 12. Jahrhunderts und der nächsten Zeit kommt ein Zifferncitat höchstens dann vor, wenn es nach dem Gesagten gänzlich unverfänglich, d. h. ein Beziehen auf eine Palea gar nicht möglich sein würde.
Noch viel sicherer werden wir aber zweitens geleitet durch die Art der Dekretalencitate. Die im Dekrete nicht enthaltenen Dekretalen citirte man bis auf die sehr kurze Zeit nach ihrer Veröffentlichung er- folgte Reception der Gompilatio prima (Breviarium Extravagantium des Bernardus Papiensis) entweder mit dem Worte decretalis, dem Namen des Papstes und dem Anfange, z. B. »decretalis Alexandri III. in litteris« oder etwa »Eugenius tertius scribit sie litteras dilectionis«, am häufigsten schlechtweg »extravagans« mit dem Anfangsworte, wobei der Name des Papstes bald zugesetzt ist, bald fehlt, z. B. »extr. quotiens frater noster«, »ut ex quotam extrava. habetur Eugenii, quod ineipit Inhaeren- tes«. Als bald nach 1179 Sammlungen der Extravaganten in Gebrauch kamen, setzte man die Titel zu, worin sie sich befanden *). Diese Methode wird stehend von der Gompilatio prima an. Gitirt nun ein Schriftsteller z. B. eine Dekretale nach einem Titel, der in der Gompi- latio I. fehlt, so ist dadurch bewiesen, dass er vor derselben schrieb, aber nach der Zeit, wo die betreffende Sammlung entstand. Wir können in solchen Fällen noch genauer vorgehen. Keine der vor die sogen. Appendix Goncilii Lateranensis (§. 16) fallenden Sammlungen hat all-
*) Vgl. meinen 2. Beitrag zur Gesch. der Lit. des Dekrets S. 33 unten §. 16 ff.
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gemeine Verbreitung oder Reception gefunden ; es ist deshalb auch das Gitiren nach Titeln vor der genannten als Gebrauch nicht nachzuweisen. Somit fällt mit ziemlicher Sicherheit im angenommenen Falle die Schrift in das Decennium von 1181 — 1191. Mit der Gompilatio I wurde das Gitiren nach Titeln die Regel. Sobald aber mehrere in Bologna reci- pirte Dekretalensammlungen existirten, wurde es allgemein Sitte, wofern nicht höchst vereinzelt Bernhard selbst angeführt wurde, dem Gitat zu- zusetzen ,in libro I. II. III. IV. V.' oder ,in I.' u. s. w. Im Momente, als Gregor's IX. Sammlung publizirt war, hörte diese Gitirart völlig auf; extra wurde schlechtweg die Bezeichnung für diese Sammlung. Mit vollster Gewissheit lässt sich nun sagen: 1. Jedes Gitat, z. B. ,extra. I. de off. jud. del. ex parte1, ,X. IL de appell. cum in ecclesia^ ,de clerico aegrotante tua libri IL', ,infra eodem titulo c. uno libri III.', ,... ex tuarum 1. L' u. dgl. beweist mit Bestimmtheit, dass dem Verfasser be- reits drei Gompilationen vorlagen, weil die zweite jünger ist als die dritte, dass also das Gitat nach 1210 fällt. 2. Wird 1. IV. oder V. citirt, so ergibt sich aus der Entstehungszeit der Comp, quarta oder quinta von selbst das früheste Alter der Schrift. 3. Wird X. schlecht- hin unter Beifügung eines Titels citirt, so geht es entweder auf die Gomp. I. oder auf Gregor's IX. Sammlung. Letztere fällt in's Jahr 1234; seit 1210, wo die Gomp. III. und bald die IL gemacht wurde, hört für die Gomp. I. die blosse Gitirart mit X. auf, wie bereits gesagt wurde. Ist nun die citirte Dekretale nicht in der Gomp. I. enthalten, so bleibt nur die Alternative: entweder ist sie in einer der zwischen die I. und III. fallenden, durch diese beiden antiquirten Sammlungen, oder in der Gregorianischen enthalten 2). Man kann das Eine oder Andere sofort feststellen wegen des grossen Zeitraums zwischen beiden und aus anderen Gründen. Passt der Titel nur für eine Sammlung, so ist die Sache bereits dadurch klar. 4. Eine Umänderung von Gitaten der Sammlung Gregors auf die älteren Gompilationen hat das Mittelalter aus nahe liegenden Gründen nie vorgenommen. Werden also die älteren Samm- lungen wirklich citirt, so fällt das Gitat unbedingt vor 1234. Hingegen hat man nach 1234 häufig die Gitate der älteren Glossen nach Gregors Sammlung umgeformt, das ,X. I.', ,1. I. IL' u. s. w. verändert in ein blosses X. — extra. Somit kann man aus der blossen Form dieses X. nicht schliessen, die Schrift falle nach 1234, wenn nicht andere Momente dafür sprechen.
Hiermit sind wir bei einem weiteren sehr wichtigen Hülfsmittel angelangt. Es giebt wenige Dekretalen seit Gratian, deren Urheber sich nicht genau feststellen Hesse, weil meistens schon in den älteren Gitaten
2) Vgl. meine Literaturgesch. der Gomp. ant. S. 31 und unten §, 18.
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der Papsl angeführt wird, die Sammlungen ihn haben und er auch aus den Regesten u. s. w. bekannt ist. In dieser Hinsicht Unit unendliche Dienste das Werk:
Eegesta Pontificum Bomcmorum ab condita ecclesia ad annum post Christum natuni MGXGVIII. edidit Philippus Jaffe. Berol. MDGGGLI. 4. Fortsetzung: Reg. Pont. Rom. inde ab a. post Christum natum MGXGVIII. ad a. MGGGIV. edidit Aug. Pott- hast. Berol. 1873 ff. 4. Sie geht bis jetzt bis zum Jahre 1280. Da beide die einzelnen Excerpte fortlaufend numeriren, citirt man mit der Zahl. Selbstverständlich ist eine Schrift jünger als die Zeit der citirten Dekretalen. Lässt sich das Alter dieser genau feststellen, so ist sie jünger als deren jüngste. In jedem Falle fällt sie frühestens in die Regierungszeit jenes Papstes, welcher der jüngste ist, von dem Dekre- talen citirt werden. Es giebt eine Anzahl von durchgreifenden, das ältere Recht abändernden, ganz Neues setzenden Dekretalen, deren Zeit feststeht. Im Hinblicke auf die Zeit und die Art von deren Publikation (z. B. auf den lateranensischen Concilien von 1179 und 1215), sowie auf die stets rasch erfolgte allgemeine Bekanntschaft mit ihnen, ins- besondere aber auf den Umstand, dass für die Zeit vor Gregor IX., welche allein Schwierigkeit bietet, der Schwerpunkt unserer Literatur in Bologna, jedenfalls in Italien liegt, endlich auf die Stellung der Schrift- steller, kann man mit Sicherheit annehmen, dass eine Schrift, welche in einer Materie eine epochemachende Dekretale nicht berücksichtigt, älter ist als letztere. Haben wir auf solche Art die Zeit einer Schrift genau bestimmt, so bietet das für andere, worin sie citirt wird, einen Anhalt.
III. Ein weiteres Moment von Bedeutung ist der Entstehungsort der Schriften und das Vaterland der Schriftsteller. Letzteres ist bei manchen aus einer directen Angabe zu entnehmen; in anderen Fällen wird man aus den Beispielen, den erwähnten Orten und Personen, der besonderen Bezugnahme auf lokale Verhältnisse u. s. w. Schlüsse ziehen können. Schwieriger ist die Bestimmung des Ortes der Entstehung. Kennen wir im einzelnen Falle das Leben des Autors genau, wissen wir z. B., dass er sich stets in Bologna aufhielt, oder ist das Alter der Schrift eruirt und die Zeit seines damaligen Aufenthaltes bekannt, so haben wir leichtes Spiel. Vereinzelt ist der Abfassungsort angegeben. Lässt diese Angabe keinen Zweifel, dass sie vom Autor herrühre, so liegt die Sache offen zu Tage. Ist sie von einem Dritten, etwa einem Abschreiber, zugeschrieben, oder giebt ein anderer Schriftsteller ihn an, so werden wir aus dem Alter der Handschrift, der Glaubwürdigkeit u. s. w. schliessen, wobei gewiss im Allgemeinen daran zu halten ist,
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dass solche concrete Angaben nicht leicht erdichtet sind. Es bleibt uns auch bisweilen die Möglichkeit, aus rein lokalen Beziehungen, die nur für einen einzelnen Ort verständlich und sachlich am Platze sind, den Entstehungsort zu combiniren, weil sich annehmen lässt, ein Autor komme nur durch den Einfluss der Verhältnisse seines Aufenthaltsortes auf den Gedanken, solche Dinge anzuführen. Will man dies nicht zu- geben , so muss man annehmen , er habe etwa absichtlich auf eine falsche Spur lenken wollen. Das hätte bei den Schriften, die uns an- gehen, keinen Sinn, weil wir es nicht mit ähnlichen Werken als den pseudoisidorischen Dekretalen zu thun haben, noch weniger mit Schriften, deren Abfassung hätte gefahrbringend sein können. Ich muss aber beisetzen, dass allerdings seit dem 15. Jahrhundert in einzelnen Fällen solche Rücksichten massgebend waren.
Wenn hier auf diese Punkte ausführlich eingegangen wurde, findet dies seine Rechtfertigung darin, dass sie theilweise überhaupt, auch bei Savigny trifft dies zu, nicht ausführlich behandelt werden, theilweise — soweit die Literatur des canonischen Rechts in Frage kommt — bisher nie im Zusammenhange erörtert worden sind. Allerdings wird Jeder, der sich mit unserem Gegenstände quellenmässig befasst, wenn er überhaupt historische Schule hat, diese Momente selbst eruiren können. Es dürfte aber in der Natur der Sache liegen, dass ein Werk, wie das meinige, damit bekannt machen muss. Dies wird zur Nothwendigkeit, wenn man erwägt, dass für die canonistische Literatur des Mittelalters seit Sarti eigentlich bisher — abgesehen von Einzelnheiten und den Er- örterungen Savigny's — ausser Maassen und mir Niemand wireklich selbstständige grössere Studien veröffentlicht hat. Alle übrigen Cano- nisten haben sich für die Literatur — denn die zufällige Bezugnahme auf die eine oder andere Handschrift ist kaum zu rechnen — lediglich auf die Drucke beschränkt. Es ist aber die Literatur des 12. Jahr- hunderts fast ganz, von der des 13. Jahrhunderts ein grosser Theil nur handschriftlich bekannt.
IV. Dies führt mich auf den letzten äusseren Punkt. Um die Literatur ganz zu kennen, muss eine Vollständigkeit der existirenden Schriften, der Handschriften und Ausgaben angestrebt werden.
Was die nur handschriftlich erhaltenen Werke betrifft, so darf ich sagen, dass von allen, welche irgendwo angeführt werden, soweit das 12. und 13. Jahrhundert in Betracht kommt — die aus dem 14. und 15. sind grösstentheils gedruckt, die ungedruckten über die Mitte des 15. Jahrhunderts hinaufreichenden für die Entwicklung des Rechts ohne Bedeutung, — nicht ein Dutzend mir unbekannt geblieben sind. Es ist mir im Gegentheile gelungen, eine Anzahl von Werken theils zu- erst aufzufinden, beziehungsweise zu beschreiben, welche bisher nie an-
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geführt winden, theils solche genau zu schildern, welche schon früh (z. I). selbst Johannes Andrea) den Schriftstellern ausser Kunde ge- kommen waren, Iheils von Anderen entdeckte eingehender zu unter- suchen. In Gleichem habe ich verschiedene seit dem 13. Jahrhundert der Kunde entwachsene Quellensammlungen neu entdeckt, jedenfalls zuerst bekannt gemacht. Wenn ich nun, gestützt auf eigne, für alle eigentlich literarischen und Quellenwerke eingehende Kenntniss und Durchforschung von über 2000 Handschriften, die ich zum Theile schon in verschiedenen Schriften bekannt gemacht habe, die Darstellung der Literaturgeschichte unternehme, so hoffe ich dadurch meine Legitimation so vollständig erbracht zu haben, wie dies möglich ist. Zugleich glaube ich durch meine bisher veröffentlichten Arbeiten und die in dem gegen- wärtigen niedergelegten Studien die Berechtigung nachgewiesen zu haben, alle bisherigen Arbeiten ignoriren zu können, welche den Charakter von Originalstudien entbehren. Dieser aber geht allen Arbeiten ab, welche sich bezüglich der blos handschriftlich erhaltenen Werke nicht auf hand- schriftliche Studien stützen; desgleichen jenen, die sich auf gedruckte beziehen, wenn sie lediglich sich auf fremde Originalarbeiten stützen. Einen Schriftsteller zu citiren, der nichts Eigentümliches hat, oder von dem man nichts gelernt hat , ist überflüssig. Für die Werke des 12. und 13. Jahrhunderts darf ich somit einfach alle Lehr- und Hand- bücher ignoriren, soweit mir nicht nöthig scheint, sie zu widerlegen.
Was die Handschriften angeht, so ist eine möglichst vollständige Angabe derselben bei den nur handschriftlich vorhandenen Werken er- forderlich. Da ich die meisten aus eigner Anschauung kennen dürfte, die bei Anderen angeführten mit Sorgfalt notirt habe, hoffe ich eine relative Vollständigkeit zu erreichen. Ich kann aber nur für die eigne Forschung verantwortlich sein ; deshalb bezeichne ich jede nicht von mir selbst untersuchte Handschrift mit einem vor- gesetzten Asteriscus. Bei gedruckten Werken werde ich mich nach den Umständen bezüglich älterer und unbedingt, soweit die Literatur und Quellen seit dem 14. Jahrhundert in Betracht kommen, darauf be- schränken, solche Handschriften anzuführen, welche nicht benutzt wur- den, aber durch ihr Alter u. s. w. wichtig sind. Es ist natürlich schwer, bei den bereits im 15. Jahrhundert und oft gedruckten dies festzustellen, weil in früherer Zeit die benutzten Handschriften fast nie angegeben wurden und Niemand verlangen wird, dass man z. B. den Apparatus Innocentii IV. ad Decretales mehrmals collationiren solle. Wenn ich also für solche auf eigne und fremde gedruckte Handschriftenverzeich- nisse verweise, auch überhaupt scheinbar willkürlich verfahre, hoffe ich Entschuldigung zu finden.
Bezüglich der Drucke befolge ich diese Grundsätze. Von Werken,
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welche vor die Erfindung der Buchdruckerkunst fallen, soll nach Mög- lichkeit die erste Ausgabe angeführt werden. Da sich dies freilich nicht immer mit Gewissheit behaupten lässt, muss ich gegen etwaige Folge- rungen mich verwahren. Von Werken, die der Neuzeit — ich meine hier die Zeit nach Erfindung der Buchdruckerkunst — angehören, ist die Zeit des Erscheinens schon deshalb anzugeben , weil sie zur Ge- schichte gehört. Dagegen halte ich bei den Schriften, welche nach 1750 gedruckt sind, zumal in Deutschland, eine Angabe des Druckers mit Rücksicht auf die Kataloge und die Verhältnisse des Buchhandels für unnöthig. Wo ich die Angaben von Hain, Panzer u. A. aus eigner Prüfung richtig befunden habe, darf ich mich mit einem Verweise dar- auf begnügen. Kommen gleichwohl öftere Angaben des Orts, der Zeit, des Druckers auch in solchen Fällen vor, so wird man das gütigst damit entschuldigen, dass man trotz des ausgesprochenen Grundsatzes kaum verlangen dürfte, dass ich alle solche Notizen des Manuscripts durchstreiche. Vollständigkeit in Aufzählung der Drucke ist principieli nicht beabsichtigt, weil sie nicht nöthig ist ; gleichwohl ist sie bei manchen Schriften erreicht. Hinsichtlich des Formats gebe ich nur Folio, Quart und kleineres als Octav an, letzteres nicht. Jn Fällen, wo ich einen Druck nicht selbst kenne, oder eine fremde Angabe bezweifle, setze ich einen Asteriscus vor.
V. Zur Charakterisirung der Schriften rechne ich folgende Punkte:
Erstens die Methode und den Geist der Darstellung. Diese sind verschieden, je nachdem das Werk sich auf blosse Jnterpretation, auf Zusammenstellung von Notizen beschränkt, wobei das Sprachliche etwa vorwaltet, oder auch den Zusammenhang beachtet, eine Gesammt- darstellung liefert. Zur besseren Einsicht sollen im Texte oder in An- hängen der einzelnen Bände Proben mitgctheilt werden, bei denen nach dem Grundsatze möglichst verfahren wird, für die Geschichte (der Quellen und Literatur) und die Dogmatik des Rechts interessante Stellen zu veröffentlichen.
Zweitens ist zu beachten die Stellung des Werks zur früheren Literatur. Zu deren Kennzeichnung gehört die Angabe der benutzten Quellen und Schriften, die Untersuchung, ob dasselbe selbstständig oder mehr oder minder von fremden abhängig ist, ob es kritisch verfährt u. s. w. Vorzüglich kommt für die erste Periode in Betracht das Ver- hältniss zur romanistischen Literatur, zum longobardischen Rechte, weil sich aus der Benutzung namentlich des ersteren auch der Einfluss leicht constatiren lässt. Auch darauf ist Gewicht zu legen, ob die Schrift auf ältere vor Gratian fallende Quellen zurückgeht.
Drittens bedarf es der Untersuchung des Einflusses auf die nach- folgende Literatur. Wird auch dieser Punkt sich regelmässig bei den
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späteren die älteren benutzenden Schriften füglich untersuchen lassen, so ist es doch nöthig, zur vollen Charakterisinuig ihn bei jeder ein- zelnen Schrift herbeizuziehen, insofern das Verhältniss eines Autors als Lehrer anderer zu conslaliren ist.
Viertens muss nach Möglichkeit Sorge getragen werden, die Dar- stellung dadurch für die Dogmengeschichte des Rechts fruchtbringend zu machen, dass wir untersuchen, in wie weit etwa ein Autor neue An- sichten aufstellt, Veranlassung geworden ist zur Erlassung von Dekre- talen u. dgl. m. Dies kommt ganz besonders in Betracht für die Zeit von 1150 bis 1215, weil in sie die eigentliche juristische Durchbildung des canonischen Rechts überhaupt, die Ausbildung der päpstlichen Machtfülle und die juristische Gestaltung des Verhältnisses der Kirche zum Staate fällt. Natürlich können hier nur die Ziele angedeutet werden; ihre Erreichung ist von dem auffindbaren Materiale abhängig. Der Anfang kann nicht zugleich Vollendung sein.
VI. Für die Darstellung selbst boten sich zwei Wege. Entweder giebt man eine Schriftstellergeschichte, wie es Savigny gemacht hat. Alsdann muss sich dem Leben der Schriftsteller eine Schilderung ihrer Werke anschliessen. Um aber in diesem Falle auch eine Uebersicht über den Inhalt und Umfang der Literatur zu geben, lassen sich Wieder- holungen nicht vermeiden. Oder man legt den Schwerpunkt auf die Werke und wählt die von mir befolgte Methode. Ich halte den zweiten Weg für den vorzüglicheren. Erstens gewinnt man auf diese Art einen vollen Einblick in die Bildung, die Entwicklung und den Umfang der Literatur. Zweitens stellt sich das Verhältniss der Schriften und damit das der Schriftsteller zu einander besser heraus. Drittens wird dadurch die Berücksichtigung der zahlreichen anonymen und für die Literatur bedeutenden Schriften ermöglicht. Für das canonische Recht lehnt sich überhaupt nicht, wie dies beim römischen bis in's 14. Jahrhundert der Fall war, die Literatur an einzelne hervorragende Männer und an einen Ort an, so bedeutend immerhin Bologna und eine kleinere Anzahl von Ganonisten gewesen ist. Die Personen mussten nach dem gewählten Plane besonders geschildert werden; zur Vervollständigung war eine kurze Namhaftmachung ihrer Schriften nöthig, wobei für die cano- nistischen auf die sachliche Darstellung verwiesen werden konnte. Die dadurch herbeigeführten Wiederholungen liessen sich nicht vermeiden. Bei der sonstigen Anordnung des Stoffes leitete mich das Streben, die Gegenstände so aufeinander folgen zu lassen, dass für die späteren Er- örterungen das volle Verständniss in den früheren vorbereitet werde.
Bei grösseren Paragraphen habe ich die einzelnen sachlichen Ab- schnitte zum Zwecke der Übersichtlichkeit und besseren Anführung mit lateinischen Ziffern bezeichnet.
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Drittes Kapitel.
§• 10.
Die canonistische Jurisprudenz vor Gratian.1)
Von einer canonistischen oder kirchlichen Jurisprudenz vor Gratian kann man insofern nicht reden, als man dabei an Personen denkt, welche die Darstellung der das kirchliche Leben normirenden Rechts- sätze als eine besondere Aufgabe, einen hesonderen Beruf angesehen hätten. Es gab keinen eignen Berufsstand von Ganonisten. Sieht man hingegen auf das Object, so lässt sich von canonischem Rechte auch vor Gratian reden.
I. Der älteste Name Canones 2) für die Sätze der Disciplin, des kirchlichen Rechts , blieb bis ins 12. Jahrhundert der regelmässige 3) und ist auch seitdem durch keinen allgemeinen ersetzt worden, bis das Goncil von Trient den uralten Sprachgebrauch verlassend die kurzen dogmatischen Lehrsätze schlechthin als Ganones bezeichnete. Hierbei wirkte unzweifelhaft der Umstand, dass dies Goncil seinen dogmatischen Sätzen jedesmal das Anathem beifügte und sie hierdurch zugleich äusser- lich als Rechtssätze hinstellte. Das neueste vaticanische Goncil vom Jahre 1869, 70 hat diesen bereits in den zahlreichen nach 1563 fallenden
*) „Von dem Rechtsunterricht im früheren Mittelalter", Savigny II. S. 459 ff. Vgl. Herrn. Fitting, Ueber die sog. Turiner Institutionenglosse und den sog. Brachy- logus. Halle 1870. Für das canonische Recht bieten diese Untersuchungen nichts ; ich führe sie aber der Vergleichung wegen an.
2) Meine Lehre von den Quellen §. 5.
3) Gratian in D. III. princ. „Ecclesiastica constitutio canonis nomine censetur." Schon Stephan von Toumay Summa proem. gebraucht den Ausdruck jus canonicum technisch: „Finis id est utilitas est, scire ecclesiastica negotia, de iure canonico traetare et traetata canonice definire." Dies schreibt wörtlich ab Johannes Faven- tinus Summa prol. (meine Rechtshandschr. S. 584 ff.), der auch den Commentar zur D. I. beginnt „Tractatarus de jure canonico." Nach ihm sagt Sicardus Summa proem. (mein 1. Beitr. S. 42, 47): „Huius ergo canonici iuris scientiam . . . expanda- mus," „item hodie iure novo canonico quilibet usurarius." Letztere Stelle, welche eine bestimmte päpstliche Dekretale so bezeichnet, ist sehr charakteristisch. Seit Stephan wird der Ausdruck stehend. Petrus Blesensis nennt sein Werk „speculum juris canonici", spricht von „in canonico civilique iure". Eine andere Stelle von Sichard, welche Sarti angeführt hat, und die aus Petrus sind schon von Anderen als die erste nach Sarti bezw. Petrus von Blois citirt worden ; da Stephan und Johann älter sind als Sichard, ersterer auch älter als Petrus ist, haben jene Citate nur seeundären Werth.
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päpstlichen Bullen dogmatischen Inhalts befolgten Gebrauch beibehalten. Es giebl mithin jetzl keinen technischen allgemeinen Ausdruck für kirch- liche Rechtssätze; ebensowenig bezeichnel jetzl jus canonicum dasselbe als jus ecclesiasticum oder Kirchenrecht4). Jus canonicum als Inbegriff der kirchlichen Befugnisse rechtlicher Natur des Bischofs kommt schon im 8. Jahrhundert vor B). Von da ab tritt uns der Ausdruck ver- einzelt entgegen, bis er von Gratian an parallel geht mit seeundum canones oder ähnlichen und allmälig stehend wird im Gegensatz des jus civile oder der leges. Seit Gratian vollzieht sich auch die Sonderung des jus canonicum von den übrigen Zweigen der kirchlichen Disciplin : Liturgie, Moral 6). Indessen bleibt die Grenze schwankend, weil das Object bald mehr dem einen, bald mehr dem anderen Gebiete angehört und daher nach verschiedenen Seiten behandelt werden kann. Mit dem theils auf dem Aufschwünge der canonistischen Jurisprudenz, theils auf der eigenthümlichen Richtung, welche die Kirchen Verfassung nahm, theils auf der wissenschaftlichen (scholastischen) Methode des Mittel- alters ruhenden Uebergewichte des Rechts und der Jurisprudenz greift
4) „Jus ecclesiasticum" hat Paucapalea Summa proem. (cod. Vindob. 2220) : Rufinus Summa (Anhang 4.) als Gegensatz des jus forense, ad D. III. des jus saecu- lare u. ö., die Summa Cöloniensis {mein 2. Beitr. S. 3).
Jus divinum als parallel mit jus ecclesiasticum hat Bufinus proem., blos jus divinum Stephan von Towrnay prooem., Johannes Faventinus prooem., die Summa Cöloniensis (mein 2. Beitr. S. 2) u. a.
Somit steht fest, dass die Ausdrücke jus ecclesiasticum, divinum, canonicum gerade in den Anfängen der Canonistik dieselbe Bedeutung haben, die Gratianische Interpretation von jus divinum so wenig als der spätere Begriff historisch begründet resp. anerkannt ist.
Für die Sammlungen kommt der Name corpus canonum, Über canonum früh vor (bezüglich der Hispana, Collectio Anselmo dedicata, Pseudoisidoriana vergl. Maassen Beiträge S. 53 ff.) ; noch das Dekret wird zuweilen liber decretorum (opus decretorum von Simon de Bisiniano, (mein 1. Beitr. S. 23) genannt.
Meine Lehre von den Quellen §. 5, Lehrbuch §. 2.
5) Conc. a; 742 c. 3. (Hartzheim Cönc. Germaniae I. 49) „jure canonico cir- cumire parochiam" vom Bischöfe.
6) Die Anschauung der ältesten Canonisten geben folgende Stellen. Vorrede einer Summe, welche der Vorrede zu Paucapaleas Summe nahe steht (Maassen Pauca- palea S. 57) : „Inter ceteras theologiae discipUnas sanetorum patrum decreta et con- ciliorum statuta non postremum obtinent locum ; siquidem ad ecclesiasticas agendas et res deeidendas sunt pernecessariae, ordine placitandi ex legibus translato." Bufin ähnlich (Anhang 4). Bolandus (mein 1. Beitr. S. 18) sagt bezüglich des traetatus de poenitentia: „eam [quaestionem] ad praesens dimittimus atque sententiis inserendam et pertraetandam reservamus," erklärt ihn damit für theologisch, weil er ihn dem Lehrbuch derDogmatik (siehe unten §. 21) überweist. Noch schärfer sondert Sichard Theologie und Canonistik, indem er (mein 1. Beitr. S. 56) bezüglich einer Frage über die Eucharistie sagt : „examini theologico relinquimus."
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auch auf jenen Gebieten vom Ende des 12. Jahrhunderts an die rein juristische Behandlung Platz. Wir müssen in Folge dessen von dieser Zeit an auch auf die nicht streng juristischen Disciplinen Rücksicht nehmen, soweit ihr Stoff juristisch ausgestaltet oder auf das Recht von Einfluss wurde.
II. Gelehrt wurde das canonische Recht vor Gratian als ein Theil der Theologie an den Schulen der Kapitel u. s. w. Wir haben jedoch keinerlei Beleg dafür, dass es abgesondert behandelt wurde ; auch lässt sich über die Lehrmethode nichts Besonderes sagen. Wenn wir auf die schriftstellerische Darstellung sehen, so darf man zunächst das Sammeln der Rechtssätze, Ganones, als hierher gehörig betrachten. Da- für lassen sich zwei Perioden unterscheiden. Die erste ist die der rein chronologischen Sammlungen, welche bis auf das 9. Jahrhundert geht 7). Von da ab gehen die systematischen Sammlungen 8), welche vom theo- retischen Gesichtspunkte aus einen Fortschritt darin bekunden, dass sie in der Sichtung nach bestimmten Gesichtspunkten ein literarisches Ele- ment darbieten. Ein noch grösseres enthalten offenbar jene Samm- lungen, welche ganz concreten Zwecken dienend aus den grösseren Sammlungen u. s. w. das Material zusammenstellen. Dahin gehören insbesondere die Libri poenitentiales 9). Ein näheres Eingehen auf diese Thätigkeit ist indessen hier nicht geboten, weil die Geschichte der Quellen vor Gratian ausgeschlossen ist. Nur das Eine soll hervorgehoben werden, dass in den kurzen Erörterungen, welche zur Verbindung der Quellenexcerpte und für die Uebergänge gemacht werden, der Beginn einer theoretischen Gesammtdarstellung liegt. Die Panormie bildet die Vorläuferin der von Gratian zur Vollendung gebrachten Methode, welche ich die der Grundrisse nennen möchte.
III. In dreifacher Richtung haben wir vor Gratian theoretische Arbeiten über Gegenstände des canonischen Rechts; Erörterungen in theologischen Werken überhaupt, monographische Darstellungen ein- zelner Materien, Verarbeitungen des Quellenmateriales für juristische Zwecke. Die allmälige Ausscheidung des später zum canonischen Rechte gehörigen Stoffes geht parallel mit der Entwicklung, wonach derselbe überhaupt einen juristischen Charakter annahm. An und für sich be-
7) Sie hat. für die vor Pseudoisidor fallenden eine meisterhafte und abschließende Darstellung im ersten Bande von Maassen's Geschichte gefunden. Vgl. meine An- zeige im Bonner „Theol. Lit. Blatt" Jahrg. 1871 Sp. 457 ff., 1872 Sp. 18 ff.
8) Meine Lehre von den Quellen S. 807 ff. Eine Aufzählung liegt ausser dem Rahmen der Darstellung, deshalb unterbleibt auch jede Vervollständigung meiner und fremder Angaben. Der zweite Band von Maassen's Geschichte lässt auch für diesen Punkt Vollständigkeit erwarten.
9) Literatur in meinem Lehrbuch §. 5.
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ruhe! die Möglichkeit und innere Begründung des Kirchenrechtes in dem
Wesen der Kirche lü). Der Begriff des Rechts fordert nicht, dass ein Salz den Charakter der äusseren directen Erzwingbarkeit habe, um als rechtlicher zu gelten. Wohl aber ist. dazu nöthig, dass er direct oder indirect äussere Wirkungen hervorbringen und nicht lediglich für das Gebiet des Gewissens in Betracht komme ll). Es konnte daher erst von dem Augenblicke an die Rede von kirchlichem Rechte sein, als äussere Wirkungen eintraten 12). Das Recht fällt zunächst und unzweifel- haft dem Staate anheim. Das ganze vorebristliche Alterthum kennt den Begriff eines ausserhalb des Staates existirenden Rechts nicht. Bei den Römern war das jus sacrum, pontificium u. s. w. ebenso ein Theil der Staatsordnung, wie bei den Juden die Bestimmungen moralischer oder liturgischer Natur zugleich einen staatlichen Charakter hatten. Auch das jus naturale hat im römischen Rechte Wirkungen; und wenn das jus gentium als solches auch keine Geltung hatte, so war es doch irgendwo Recht, ja wurde als Element der Weiterbildung reeipirt. Eine Gesellschaft, die in der staatlichen keine Anerkennung hat, besitzt im wahren Sinne des Wortes auch kein Recht, mag sie auch für die Durch- führung ihrer Normen mit äusserster Strenge sorgen 13). Die alte christ- liche Zeit stand auf diesem Standpunkte; der Begriff eines Kirchen- rechts fehlt ihr gänzlich. Man spricht wohl von Canon, von lex dei, lex divina, aber nicht von jus ecclesiasticum. Der Begriff eines Kirchen- rechts entstand in dem Momente, wo kirchliche Normen staatliche An- erkennung fanden; nur inwiefern das der Fall war, so weit erstreckte sich umfänglich das Kirchenrecht. Erst als die kirchlichen Sätze für das Gebiet der Ehe staatliche Geltung erlangt hatten, ist die Rede von kirchlichem Eherechtc. Und es hat lange gedauert, bis die Kirche sich von der Anschauung emaneipirt hat, das mosaische Gesetz als solches sei nicht bindend 14). Hatten sich ja auch die Apostel, insbesondere
10) Dies habe ich ausführlich dargelegt in meinem System S, 79 ff., meiner Lehre von den Quellen S. 7 ff. Vgl. meinen Aufsatz ,Ueber die Bedeutung und Aufgabe des Kirchenrechts und der KirchenrechtswissenschafV in v, Moy Archiv I. (1857) S. 1 ff.
n) Wenn z. B. die censurae latae sententiae auch im Falle des Bekannt- werdens keinerlei äussere Wirkungen erzeugen würden, gehörten sie nicht zum Rechte.
12) Das war gleich anfänglich der Fall mit der Taufe , welche Christus als Modus der Erlangung seiner Gemeinschaft erklärt, und mit dem Meiden hartnäckiger Sünder gegen den Nächsten nach Christi Gebot bei Matth. 18, 15 ff.
13) Wollte man das Recht nennen, so könnte man auch von einem Rechte der Freundschaft^ jedes Vereines, selbst verbotener geheimer Gesellschaften u. s. w. reden.
u) Simon {mein 1. Beitr. S. 39) spricht dem Papste die Befugniss, im 1. und 2. Grade der Verwandtschaft zu dispensiren, ab, weil die lex naturalis et mosaica es verbiete. Auch Eobertus Flamesbnr. (meine Ausg. des Eher. p. XVIII.) sagt:
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Petrus, nur mit grosser Mühe zu der Freiheit des Christen vom jüdi- schen Gesetze aufgeschwungen. Wem fiel es ein, von einem kirch- lichen Processrechte zu reden, bevor kirchliche Gerichte mit Wirkung für das bürgerliche Gebiet erkannten? Und in dem Momente, wo die Kirche einem Satze weltliche Anerkennung verschafft hatte, begnügte sie sich nicht mehr mit kirchlichen Wirkungen, sondern verlangte welt- liche Strafen, billigte die Hinrichtung der Ketzer, dekretirte die Absetzung der Könige und cassirte Staatsgesetze. Wenn jegliches Band zwischen Kirche und Staat gelöst ist, wenn kein kirchliches Verhältnis irgend eine bürgerliche Wirkung äussert, giebt es kein Kirchenrecht mehr, mag die Kirche selbst für ihr Gebiet den Namen beibehalten 15).
Wir können somit Arbeiten über Materien, die zur Zeit der Ab- fassung der Traktate bereits einen juristischen Charakter besassen oder später erlangten, zur canonistischen Jurisprudenz rechnen. Es zeigt sich aber vor Gratian, dass es fast nur Theologen sind, welche gewisse Themata behandeln, während seitdem selbst bei den beiden Gebieten, dem Rechte und der Theologie, angehörigen Punkten die Art der Be- handlung wesentlich verschieden ist nach dem Berufe und dem Zwecke des Schriftstellers.
Einzelne canonistische Materien finden auch vor Gratian eine häufige Behandlung, theils in dogmatischen Werken, theils in eignen Trak- taten. Dahin gehört vor Allem die Ehe. Ausser den Darstellungen in den dogmatischen Werken haben wir schon sehr alte, worin eine theoretische Erörterung mit dem Anführen der Quellenbelege verbunden ist16). Die umfassendste Darstellung vor 17) Gratian fand das Eherecht in den Sententiae des Petrus Lombardus L. IV. dist. 26 — 42. Petrus
,In linea transversa etiam in VII. gradu dirimitur matrimonium ; dispensari tarnen potest, sed a solo papa et tantum ultra tertium gradum, quia in lege inhibetur con- tractus in primo, et secundo, et tertio gradu, papa autem contra legem et evange- lium, ut saepius dictum est, dispensare non potest.'
15) In Frankreich, wo diese Trennung bei Weitem noch nicht ganz vollzogen ist, wird nirgends Kirchenrecht an den Rechtsschulen gelehrt ; was an Sätzen über die Regulirung von kirchlichen Dingen gilt, findet im „droit public et administrativ seinen Platz. Wenn wir in Deutschland noch viele Dinge zum Kirchenrechte rechnen, die längst jeder rechtlichen Seite entbehren, ist die lange Gewohnheit einziger Grund. Der von mir zuerst in meinem System eingeschlagene Weg, eine Masse theologischen Beilasses zu entfernen, findet übrigens bereits zahlreiche Nachfolger.
16) Siehe den von Kunstmann aus einer ehemals Freisinger Handschr. des IX. Jahrh. im Archiv v. Moy's VI. (1861) S. 5 ff. publizirten Traktat, dessen 9 erste Kapitel sich auch in einer Handschr. der medizin. Schule zu Montpellier finden. mein Iter gallicum S. 410. Daselbst S. 401 und 417 sind andere ähnliche nach- gewiesen.
17) Die Gründe, aus denen ich die Sententiae vor Gratian's Dekret setze, habe ich in meinem 3. Beitrag S. 33 f. angegeben.
Schulte, Geschichte. I. Brt. 3
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luil ganz diejenige Methode, welche Gratian durchführt und gewiss ihm entlehnt hat. Entweder unmittelbar vor oder bald nach dem Dekret oder mil ihm gleichzeitig sind eine Anzahl längerer und kürzerer Trak- tate über das Eherechl gemachl worden 18). In diesen Darstellungen zeig! -ich bereits der Einfluss der Jurisprudenz, da sie abweichend von den alleren theologischen und von den lediglich die Quellenaussprüche zusammenstellenden vorzugsweise theoretisch erörtern.
Ein anderer vielfach behandelter Gegenstand sind die Zehnten.
Spätestens aus dem Anfange des XII. Jahrhunderts, jedenfalls vor 1139, besitzen wir einen Tractatus de sacrilegiis et immunitatibus et cor um compositionibus 1!)). Derselbe ist unzweifelhaft in Frankreich ent- standen und zeichnet sich durch die Präcision der Sprache, die Rein- heit derselben und den historischen Sinn des Verfassers in einer Weise aus, dass wir ihm wenige oder kaum eine Arbeit des Mittelalters an die Seite stellen können. Zugleich beweist der Traktat, dass früher als in Bologna das canonische' Recht in Frankreich eine theoretische Behandlung fand, welche einen wahren historisch-systematischen Cha- rakter hat.
Da es hier nicht auf Vollständigkeit abgesehen ist , übergehe ich die sonstigen Arbeiten über einzelne Materien, muss aber noch einen Punkt erwähnen, die Verarbeitung des Civilrechts zu kirchlichen Zwecken 20). Diese hat ihren Grund in der Geltung des römischen Rechts für die Kirche 21) und in dem Anlehnen des canonischen an das römische in einer Menge von Materien. Bis in den Anfang des XII. Jahrhunderts war man dahin gekommen, das römische und neben ihm das frän- kische Recht in den Quellensammlungen und in rein theoretischen Ar- beiten mit dem canonischen zu einem Ganzen zu verarbeiten 22).
IV. Ueberblicken wir die eigentliche Literatur vor Gratian, so kommen wir zu nachfolgenden Ergebnissen. Das Quellenmaterial war in 'ner solchen Reichhaltigkeit in den verschiedensten Sammlungen
18) Mein 3. Beitrag S. 34 ff. giebt deren vier an; der zweite ist interessant wegen der gleichzeitigen Darstellung rein civilistischer Sätze.
19) Von mir publizirt, erörtert und mit den nöthigen Nachweisen versehen in der Abh. „Ueber drei in Prager Handschr. enth. Can. Samml." S. 132 ff. Denselben enthalten auch die Handschr. der Wiener Hofbibl. mim. 1180 fol. 177 b— 181h und num. 2219 fol. 67 b— 78 b.
20) Vgl. v. Savigny IT. S. 134. ff. Maassen, Beitr. S. 67 ff. Ueber eine Lex Romana canonice coinpta, Wien 1860. Bobienser Excerpte des röm. Rechts, Wien 1864. Meine Prager Canon. Samml. S. 218 ff.
21) Mein Lehrb. der deutsch. Reichs- und Rechtsgesch. 3. Aufl. S. 62. 75.
22) Das ist der Fall im tract. de sacrilegiis, bis zu gewissem Grade in der- jenigen Sammlung, welche ich in der Anm. 20 angeführten Abhandlung S. 198 be- schrieben habe.
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niedergelegt, dass Graüan, wie er thatsächlich gethan, auf die Original- quellen kaum zurückzugehen brauchte. Die juristische Bearbeitung ein- zelner Materien war keine unbedeutende, im Ganzen aber fehlte sie; die theologische entsprach den Anforderungen der Jurisprudenz nicht. Hierin findet sich die Erklärung für die Stellung, welche die Canonisten der Vorzeit gegenüber eingenommen haben. Zugleich ist damit ge- rechtfertigt, die canonistische Jurisprudenz recht eigentlich von Gratian zu datiren und auf die ältere Literatur lediglich hindeutend zu ver- weisen. Für die Zeit vor Gratian bildet die Quellengeschichte die Hauptsache, die Literaturgeschichte die Nebensache.
Erstes Buch.
Die Geschichte der Quellen und Literatur des Canonischen Rechts
von
Gratian bis auf Gregor IX.
(1150-1234.)
Erste Abtheilung. Die Rechtsquellen,
Erstes Kapitel. Die kirchlichen Quellen.
§. 11. Vorerinneruiig.
Meinem Plane getreu gehe ich auf die Quellen vor Gratian nur insoweit ein, als sie in der Literatur seit Gratian eine Berücksichtigung finden. Die Ganonensammlungen als solche kommen hier nicht in Be- tracht, sondern nur die von den Glossatoren benutzten. Der Zweck dieser Erörterung besteht mithin einzig darin, zu zeigen, welche Quellen ausser Gratian den Glossatoren zu Gebote standen, oder richtiger ge- sagt von ihnen benutzt worden sind. Wie in den Sammlungen vor Gratian und im Dekret nicht streng geschieden wird zwischen den eigentlichen Quellen und den Werken der Schriftsteller (Kirchenväter u. s. w.), darf eine solche Scheidung auch für unsere Darstellung nicht gemacht werden.
Auch das Dekret Gratians x) beabsichtige ich nicht in seiner Be-
*) Ein äusserer Grund für meinen Plan liegt darin, dass die allseitige Erörte- rung des Dekrets nur auf Grund der erschöpfenden Darstellung der sämmtlichen früheren Samminngen gemacht werden kann. Ich habe nur für eine Anzahl der älteren Sammlungen die nöthigen handschriftlichen Studien machen können; ich habe aber keine Lust, fremde Arbeiten abzuschreiben, noch auch Unvollständiges auf Grund eigner Studien zu bieten. Das Werk von Maassen ist bis auf Pseudo- isidor erschöpfend. Da nach dem Vorliegenden mit Sicherheit anzunehmen ist, dass er für die spätere Zeit ebenso erschöpfend .darstellen werde, darf ich getrost diese
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deutung als Sammlung zu bearbeiten, sondern nur zu erörtern, inwie- fern es den Glossatoren als Grundlage ihrer Behandlung dient. Somit Isi zu betrachten: was die Glossatoren über den Verfasser, die Zeit, den Namen, die Eintheilung, den Charakter des Werkes, ihr Verhält- nis- zu demselben sagen, kurz, welche Stellung das Dekret in der Literatur jener Zeil einnimmt.
Für die Quellensammlungen von Gratian bis auf die Gompilation Gregor's IX. besteht meine Aufgabe darin, die allmalige Entstehung von Sammlungen nachzuweisen, diese selbst aber so zu erörtern, dass die Entstehung der einen aus der anderen ersichtlich ist, zugleich alle und jede Punkte darzustellen, welche für das volle wissenschaftliche Verständniss von Bedeutung sind.
§. 12. A. Die Sammlungen vor Gratian 1).
I. Aus dem Charakter 2) des Dekrets und der Auffassung desselben bei den Glossatoren 3) erklärt sich, dass neben ihm ein Zurückgehen auf die älteren Quellen unbedingt statthaft war. Wenn wir gleichwohl eine verhältnissmässig äusserst geringe Berücksichtigung derselben an- treffen, lässt sich das aus mehreren Gründen erklären. Einmal ist es wohl die Anschauung, welche sie vom Dekrete und seiner Vollständig- keit hatten 4). Dazu kommt die verhältnissmässige Seltenheit der alten Sammlungen5), welche die Annahme gestattet, dass ihnen viele ganz unbekannt waren. Bei den meisten Schriftstellern lässt sich wohl auch aus dem Mangel historischen und kritischen Sinnes auf die Nichtberück- sichtigung schliessen. Endlich mag das Beispiel der Civilisten gewirkt
Leistung ihm allein überlassen. Was ich an Beiträgen in verschiedenen Abhand- lungen veröffentlicht habe, wird bei ihm unzweifelhaft Berücksichtigung finden. Für die Quellen seit Gratian glaube ich erschöpfende Studien auf Grundlage der Hand- schriften gemacht zu haben. Das enthebt mich der Mühe, Arbeiten anzuführen oder zu berücksichtigen, welche des Charakters quellenmässiger Studien entbehren. *■) Maassen, Beiträge S. 47 ff.
2) Unten §. 15. num. III.
3) Unten §. 15. num. II.
4) Unten §, 15. Anm. 11 ff.
5) Sicherlich waren verschiedene in Italien überhaupt nicht sehr verbreitet; viele Handschriften sind frühzeitig in andere Länder gekommen, wie das häufige Vorkommen in Deutschland beweist. Der Katalog der Bücherverleiher von Bologna [Savigny III. S. 649 ff.) hat aus* dem 12. Jahrhundert nur die Summa des Huguccio und Bernards, falls wirklich Bern. Papiensis gemeint ist. Dass Johannes Andrea bereits Schriften des 13. Jahrh. nicht mehr kennt, wird sich zeigen.
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haben, die sich rein auf die Justinianischen Sammlungen besckränken konnten, weil sie Gesetzesbücher waren. Ob nicht dennoch die Be- kanntschaft eine grössere war, als sich aus den Gitaten oder dem Ge- brauche erweisen lässt, kommt nicht in Betracht, weil wir es nur mit dem Erweisbaren zu thun haben. Das Verhältniss der Schriftsteller zu einander, wie es sich zeigen wird, sowie die wissenschaftliche Methode beweist aber bei dem einzelnen nur dann eine eigene Kenntniss, wenn er überhaupt selbstständig dasteht oder für die Benutzung an einem bestimmten Orte sich kein früherer Gewährsinann findet.
II. Mit Sicherheit ist festzustellen, dass die Glossatoren kannten :
1. Die Collectio Dionysio-Hadriana. Als Über conciliorum führt sie an Rufinus ad. c. 6. D. 17: » . . . et hoc poteris scire, si Ubrum con- ciliorum, unde hoc sumtum est, volueris legere 6).« Dann ist sie erwähnt in Glossen eines Innsbrucker Codex 7), welche zu den ältesten gehören. An einer anderen Stelle nennt sie Rufin Über canonum. Er sagt näm- lich zu G. XII. q. 4: ,,Extraneos a sua consanguinitate vel etiam con- sanguineos haereticos vel iniideles nullo modo potest heredes instituere nee etiam aliquid eis per donationem conferre; et hoc invenitur in libro canonum ex auetoritate Africani concilii, ex concilio afri- cano cap. LI. 8): ;Si quis episcopus heredes extraneos a consanguinitate sua vel haereticos etiam consanguineos aut paganos praetulerit, saltem post mortem anathema ei dicatur atque eius nomen inter dei sacerdotes nullo modo recitetur.' Item ex eodem c. XXII. : ,In eos qui catholici christiani non sunt, etiam si consanguinei fuerint, per donationes reruni suarum episcopis vel clerici nil conferant.' Denique hoc quod de epis- copis et presbyteris dictum est, de reliquis clericis est exaudiendum." Es ist somit unzweifelhaft, dass Rufin die Sammlung vor sich hatte. Die Summa Lipsiensis 9) nennt sie Über conciliorum.
2. Die ächte Hispana. Als magnum corpus canonum führt sie an
6) Maassen, Reitr, S. 60 hat zuerst, diese Stelle aus Johannes Faventinus an- geführt. Da dieser sie Rufin abgeschrieben, ist für jenen nicht bewiesen, dass er sie gekannt habe.
7) Maassen, Beitr, S. 48 f„ über den Codex selbst meine Glosse zum Dekret S. 3 ff.
8) Das ist entweder im Göttinger Codex ein Schreibfehler für XL VIII. oder eine Besonderheit der dem Rufin vorliegenden Handschrift. Der Wortlaut ist genau. Das folgende Citat lässt gar keinen Zweifel, da nirgends c. 22 und 48 sonst als Kapitel desselben Concils erscheinen.
9) Meine Abhandl. darüber S. 12. 15. Obwohl diese Stellen sowohl in der Hispana als der Hadriana stehen, dürfte die geringere Verbreitung der Hispana ausserhalb Spanien schon allein den Beweis liefern, dass die Coli. Dion. -Hadriana gemeint ist.
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Cardinalis10*), Es scheinl sie auch der Verfasser der Summa Pari- siensis gekannl zu haben. n)
:>. Die Pseudoisidorische Sammlung. Sie kennt ganz unzweifel- haft Eu fi nus. Er sagt ad c. 4. U. XVI. ,Scripsit Isidorus iectori cui- dam, ei forte lector fuit proprium nomen illius, vel volebal ei legere, quando scribebat et ideo cum lectorem suum dich et conservum suum, quia et ipse sicut Isidorus servus Christi fuit. . . . Isidorus enim in unum volumen compegit canones apostolorum et gesta conciliorum et alia quaedam et ibi canones apostolorum praemittit gestis sive cano- nibus conciliorum, quia a dignioribus sunt instituti scilicet ab apostolis . . Item primus ordo. Item nititur auctoritate Isidori ad idem ostendendum. Ut praedictum est, Non hie, sed in illo libro Isidori, in quo primo agitur de celebrando concilio, scilicet cuius auctoritate celebrandum sit, ubi et quando et huiusmodi, postea ponuntur ibi canones apostolorum et deinde, ut etiam praedictum est, canones conciliorum. Et hoc est quod dicit. Ac primorum apost-, — Interpol. Interpositum est brevi- arium primorum apostolicorum etc. Breviarium est brevis summa, unde scriptum illud primo appellabatur breviarium breviter in se continens gesta conciliorum et decreta primorum pontificum sive apostolicorum, qui scilicet erant a tempore Glementis usque acl tempus saneti Silvestri 12). Et istud Isidorus postea in magno volumine posuit et forte modo non dicitur breviarium, sed tunc ita dicebatur. Et hoc est quod Isi- dorus ait.'
Ad c. 1. D. XV. „quorum gesta in hoc opere, non in corpore de- cretorum, sed in libro Isidori ethymologiarum" 13). Ad princ. D. XIX. „Supra de auctoritate canonum egit, hie de momento decretalium epi- stolarum traetat ostendens, eas eiusdem auetoritatis fore, cuius et ca- nones, propter primatum Romanae ecclesiae, de quo etiam hie sermonem fecit. Sunt etiam decretales epistolae, quas ad provincias vel personas pro diversis negotiis sedes apostolica direxit, quae cum devotione sunt custodiendae, nisi praeeeptis evangelii vel decretis sanetorum patrum inveniuntur adversae, sicut epistola illa Anastasii} ut infra in hac dis- tinetione. Dubitabatur autem, utrum essent reeipiendae nee ne propter
10 ) In den 2 bei Maassen, Beitr. S. 53 aus demselben Innsbrucker Codex mit- getheilten Glossen. Ich halte den Nachweis, dass die Hispana gemeint sei, für er- bracht.
n) Mein 2. Beitr. S. 31.
12) Dass er (vgl. Hinschius, Decretales Pseudoisidorianae p. 25) den Wortlaut des Breviarium vor Augen hatte, ist unverkennbar.
13) Dass Huguccio in der von Maassen Beitr. S. 59 mitgeth eilten Stelle diese vor Augen hatte, liegt auf der Hand. Darum beweist sie nicht, dass Huguccio aus eigner Anschauung die Sammlung kannte.
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duo: quia litterae domini papae quandoque diriguntur alicui certae personae, quandoque certo collegio. Unde non videtur, quod debeant esse generalia decreta, praeterea non inveniuntur in corpore cano- num, et quia de bis maxime episcopi Galliae dubitabant, eis scribit Nicolaus papa dicens: Si Romanorum [c. 1.] . . . quanquam quidam opponant, eas non esse recipiendas , quia non sunt in corpore ca- nonum." Da er hier die Frage gerade so allgemein erörtert, als Gratian, da seine Kenntniss Pseudoisidor's nach dem Früheren und Späteren nicht bezweifelt werden kann, so setzt er hier offenbar corpus canonum für diejenige Sammlung, von der die Bestreiter im Briefe Nicolaus' I. sagen: „haud illa decretalia priscorum pontificum in toto canonum codicis corpore contineri descripta" 14). Es handelte sich einfach um die Geltung. Die Einen, die Hadriana vor Augen habend, bestritten die Geltung, weil der Brief darin nicht stehe, die Anderen beriefen sich auf die Isidoriana (Pseudoisid.); der Papst sagt: die Reception ist gleichgültig. Diese Argumentation acceptirt Rufin. Er konnte das um so mehr , als ihm , wie bewiesen ist, die Hadriana vorlag , wo er die Stelle nicht fand. Somit bezeichnet er vielleicht hier diese mit corpus canonum.
Zu c. 1. D. XX. verbo simul cum canonibus setzt er hinzu: ,non in corpore canonum'.
Auch Johannes FavenUnus scheint Pseudoisidor zu kennen 15). Ob die Summa Parisiensis l6) ihn kennt, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Bei Steplianus von Tournay finde ich keinen Anhaltspunkt für eigne Kenntniss. Simon de Bisiniano 17) kennt ihn höchst wahrschein- lich, ebenfalls die Summa Lipsiensis 18).
14) Huguccio in der bei Maassen Beitr. S. 59 Note 2 angeführten Stelle, der Rufin vor Augen gehabt hatte, sagt ebensowenig, wie Maassen schliesst, das Dekret von Gelasius stehe nicht bei Pseudoisidor, sondern argumentirt aus Nicolaus' Worten. Richtig aber bleibt, dass Huguccio meint, Nicolaus I. habe an die Sammlung Isidors gedacht. Wenn er zu c. 1. D. XV., wie eben gesagt, aus Rufin abschreibt und nun sagt, die dort gemeinte Sammlung sei auch D. XIX. gemeint: so ist das allerdings ein bedeutendes Argument gegen seine Kenntniss Pseudoisidors, oder Folge einer Flüchtigkeit. Wiederholt sagt Rufm corpus canonum, wo bei Gratian codex cano- num steht.
15) Denn hatte er auch in der von Maassen Beitr. S. 58 mitgetheilten Stelle Rufm vor Augen, so verräth doch die Art des Gitirens eigne Kenntniss.
16) Ueber sie mein 2. Beitr. S. 22 ff. Maassen Beitr. S. 57 nimmt die Bekannt- schaft an. Aber die angeführten Stellen dürften aus Rufm sein; ich glaube das um so mehr, weil auch andere, wie sich zeigen wird, ihm entstammen. Unzweifelhaft ist Rufin älter, da die Parisiensis Piacentmus kennt. Vgl. unten §§. 26. 32.
X1) Mein 1. Beitr. S. 33 f. 36 stellt die Citate zusammen. 18) Meine Abhandlung darüber S. 14 f.
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4. Fulgentii Ferrandi Breviatio canonum. Für Eufinus beweist dies, was er sagt ad c. 34. D. LXIII. : „Nota, quod in collectione ca- nonum Fulgentii evidenter ostenditur ex decretis, quoniam clerici tantum matricis ecclesiae debeanl eligere. Sed videtur Gratianus contrarium ostendere dicens ,nunc autem4."
5. Cresconius ist Eufinus bekannt, wie seine Worte zu c. 4. D. XVIII. ergeben: „Similiter isti legendus est locus quidarn in significationibus verborum, quem satis expedivimus in notulis, quas super illum libellum scriptitavimus . . . sed in Bur[chardo] et in Gresconio hoc capi- tulum in hunc modum reperitur: ,secundum vero concilium idibus octo- bris habeatur, i. e. XV. die mensis octobris, quae yperbereteon cog- nominant4. [1. cognominatur]. in ipsis autem44 etc.
Ad dictum Grat, in c. 54 D. L. Item obiicitur: ,, . . . quod ha- betur ex quodam de Concilio Toletano invenitur in Gresconio scrip- tum in hunc modum: ,Hii qui in discrimine constituti poenitentiam publicam accipiunt, nulla manifesta ecclesiae confitcntes, sed tantum peccatores se praedicantes, huiusmodi si voluerint possunt etiam propter morum ad gradus ecclesiasticos pervenire. Qui vero ita poenitentiam accipiunt, ut aliquod mortale peccatum perpetrasse publice fateantur, ad clerum vel honores ecclesiasticos pervenire nullatenus possunt, quia se confessione propria notaverunt.44
Noch andere Gitate kommen vor.
6. Burchärd's Decretum. Dies ist die ausnahmslos allen Glossa- toren des XII. Jahrhunderts bekannteste Sammlung, wie zahlreiche Gitate in den Glossen und Summen bekunden 19).
7. Ivo's Decretum. Rufin sagt ad c. 3. §. 1. D. XV.: „Iam nunc sub etc. Adhuc sunt verba Gelasii papae, unde ex corruptione eodicum est, quod quiclam libri habent hie paragraphum, tanquam essent verba magistri Gratiani. Et nota, quod multorum opuscula hie enumerantur, plura tarnen in decretis Ivonis, unde etiam quidam libri habent omnia hie enurrierata.44 Daselbst „Item decretales epistolae etc. In quibusdam codieibus huic plura adiieiuntur capitula a decretis Ivo- nis excerpta, sed in emendatioribus istud ultimum est." Aus dem Decretum ist auch citirt zu c. 7. C. XIII. q. 2. das Dekret Leo's IX. Rektum est, das als c. 2. X. de sepult. III. 28. aus der Comp. I. reeipirt wurde. Joh. Faventinus hat die in meinen Rechtshandschriften S. 588 abgedruckte Stelle wörtlich Rufin abgeschrieben. Auch die Summa Lipsiensis kennt dasselbe 20).
1<J) Bei Rufin kommen sehr viele Gitate aus ihm vor, einige hei Stephänus, über 50 bei Simon de Bisiniano, viele hei Johannes Faventinus, mehrere bei Sicar- dus, in der Summa Goloniensis, Parisiensis, über 50 in der Lipsiensis u. s. w,
20) Meine Abhandl. darüber, S. 15.
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8. Ivo's Pannormie. Sie wird mehrmals angeführt in der Summa Parisiensis 21) und anderwärts. Dass dieses und das vorhergehende Werk vorzugsweise von Schriftstellern angeführt wird, die Franzosen waren oder in Frankreich lebten, erklärt sich leicht.
9. Unzweifelhaft waren einzelnen Glossatoren noch andere , ins- besondere chronologische 22) Sammlungen bekannt. Das lässt sich von Rufin, Johannes Faventinus, Simon de Bisiniano, der Collectio Ldpsiensis 23) und verschiedenen anonymen Glossen 24) darthun.
III. Von anderen Werken, welche in einzelnen Sammlungen und bei Gratian benutzt sind, ist eine eigne Bekanntschaft nachweisbar für
1. Isido/s Etymolog iae bei Rufin (ad Dist. XV. und öfter), der Summa Lipsiensis, Joh. Faventinus u. a.
2. Isidor's Chronica bei Rufin (ad Dist. XVI.) u. a.
3. Den sog. Liber pontificalis, Gesta Romanorum pontificwm bei Rufin (z. B. ad Caus. VIII.), in der Summa Coloniensis, bei Joh. Fa- ventinus u. a.
4. Einzelne Ordines Romani bei Sicardus u. a.
5. Die Historia ecclesiastica bei Rufin, Joh. Fav., Summa Lips. u. a*
6. Beda de sex mundi aetatibus ist der Summa Parisiensis be- kannt 25).
Eine unmittelbare Kenntniss der libri poenitentiales scheinen die Glossatoren nicht gehabt zu haben ; wenigstens finde ich keine Aeusse- rungen vor, woraus sich mit Sicherheit das Gegentheil folgern Hesse 26).
Auch den Liber diurnus haben sie aus eigner Anschauung nicht gekannt, wie ihre Bemerkungen beweisen 37).
21) Maassen Beitr. S. 62, mein 2. Beitr. S. 32.
22) Ich nehme das Wort in dem von Maassen Geschichte I. S. 3 ff. ange- nommenen Sinne.
23) Eine detaillirte Ausführung ist, überflüssig, ich darf auf meine verschiedenen Abhandlungen verweisen.
24) Vgl. Maassen Beitr. S. 61 f., auch die Mittheilung aus einem Baseler Codex bei Wunderlich, Anecdota quae processum civilem spectant. Götting, 1841 Proleg. p. 35.
Die Zufügung der Paleae aus Burchard, Ivo, Anselm, Collectio trium partium (s. meine Abhandlung über sie) liefert einen weiteren Beweis der Bekanntschaft der Schule mit denselben.
25) Mein 2. Beitr. S. 29. das Citat ad c. 10. D. XVI. Dass dies Werk, nicht wie im Decret steht, de temporibus gemeint ist, wurde schon früher bemerkt, z. B. von Richter in der Note dazu. Rufin kannte Beda's Werk nicht, da er hervor- hebend, das Concil von Nicäa sei zur Zeit von Silvester nicht von Julius gehalten, beifügt: ,,Ideo credendum est, Codices hie corruptos esse et debere hie esse Silvestri, ubi est Julii; tarnen libri non corrigantur, donec ex originali scilicet lihro Bedae veritas perpendafur."
26) Eine Aeusserung Rufin's sehe man §, 26.
27) Rufin sa^t zu c. 8. D. XVI.: „Liber diurnus dicitur, quia una die compo-
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IV. Ausser Citaten aus Werken einzelne'r Kirchenväter, insbesondere Augustinus und Hieronymus, deren Schriften selbstverständlich theil- weise den meisten Ganonisten bekannt waren, beruft sich Rufin auf Josephus (ad 1). LXXVI), Hugo von 8t. Victor (z. B. Dist. XVI. nach einer Erörterung über Justinian als ,filius Constantini': ,Istud non in- venitur in chronicis Ysidori, qui forte scripsit de regibus, qui exstiterant usque ad suum tempus; alii vero ei succedentes postea superaddiderunt, a quorum vel alieuius eoruni scriptis habuit forte m. (agister) Hugo Victoriensis, qui istud narrat"), Petrus Lombardus (z. B. D. III., D. XXIIL), Magister Aäam4 Gelandus. Ein Werk desselben mit Namen Candela wird citirt von Rufin ad c. 5. D. XI. : ,,Q. d. nulla scriptura hoc do- cuit, sed addendum est canonica, alioquin hoc falsum esset, siquidem in candela Gelandi satis legilur de talibus, et in baptisterio scilicet in libro baptismali", und offenbar aus eigner Kenntniss von der Summa Parisiensis 28). Cantor Parisiensisy Petrus Manducator } Gilbertus Por- retanus u. A. kommen vor. Es soll bei den einzelnen Schriftstellern ihre Bekanntschaft mit der Literatur angemerkt werden.
B. Das Dekret Gratiaiis.1)
§• 13. 1. Verfasser. Zeit der Abfassung. Titel. Eintheilung. Rubriken. Paragraphen.
I. Nach dem übereinstimmenden Zeugnisse der Glossatoren hiess der Verfasser des ersten Theiles des sog. Corpus iuris canonici Gra- tianus. Er war Mönch und von Geburt Italiener. Auf die vereinzelte Angabe, er sei Bischof gewesen, ist um so weniger Gewicht zu legen, als sie durch nichts unterstützt wird. Dagegen ist die fast beständige Bezeichnung magister allein oder als Zusatz zum Namen ein Beweis seines Lehramts 2). Ueber die näheren Lebensumstände Gratian's er-
situs est, vel quia Lina die totus legi potest, vel ideo über aliquis diurnus appellatus est, quia in eo continetur, quid singulis diebus facturus sit apostolicus." Das hat Joli. Fav. {meine Rechtshandschr, S. 587) abgeschrieben, wie es scheint auch Stepha- nies u. a. Paucapalea sagt blos: „1. d. id est dierum libro."
28) Dies beweist die im 2. Beitr. S. 35 abgedruckte Stelle.
*) Ich bemerke ein- für allemal, dass ich mich beschränke auf die Angalten bei den Glossatoren bis auf Huguccio, weil dieser die meisten vor Augen hatte, des- halb nur den älteren der Werth der Originalität und überhaupt historischen Sicher- heit zukommt. Wo ich von dieser Regel abweiche, liegt der leicht ersichtliche Grund in der Notiz selbst.
2J Bereits gedruckte Stellen darf ich im Allgemeinen zu citiren mich begnügen, Paucapalea spricht nur vom Magister schlechtweg.
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fahren wir aus den älteren Glossatoren nichts 3). Dass er die sechs- ziger Jahre des 12. Jahrhunderts nicht erreichte, ist sicher. Denn erstens erwähnt, von Bohmdus angefangen, dessen Stroma vor dem 7. September 1159, wo er als Alexander III. den päpstlichen Thron bestieg, gewiss vollendet war, niemand Gratian in einer Art, aus der sich schliessen Hesse, er habe noch gelebt. Zweitens ist die Summa von Paucapalea in der von Rolandus citirt 4). Wenn nun jene kaum über 1158 hinaufreicht, in ihr aber Gratian als so bekannt erscheint, dass er schlechtweg nur magister genannt wird: so darf man wohl annehmen, er habe noch in den ersten 50ger Jahren gelebt. Drittens führt die Summa Parisiensis und Simon direkt ihn als gestorben an. Diese aber fallen vor 1179, haben aber verschiedene Vorgänger.
Als Bischof wird Gratian in einzelnen Handschriften des Dekrets angeführt 5). Dieses ist sicher falsch.
Nur selten geben Handschriften des Dekrets Näheres an. So heisst es in einer des Stifts Tepl in Böhmen, signirt XII. 38., mbr. fol., saec. XIV. : ,Explicit decretum compilatum a graticmo monacho mona- sterii sancti felicis de bononid. bb.'
IL Ueber die Zeit der Abfassung des Dekrets weichen die An- sichten noch auseinander 6). Auf Grund verschiedener Formeln und
Bolandus (mein 1. Beitr. S. 10) sagt, das Werk habe vom Goinpilator seinen Namen erhalten. Er nennt oft den magister Gratianus.
Bufinns prooem. (Anhang 4.) Achtmal kommt Gratianus allein in der Vor- rede vor, meist mit dem Zusätze magister.
Stephanus Tornacensis prooem.: ,,Gompositorem huius operis recte dixerim Gratiannm, non anctorem. Gapitula namqne a sanctis patribus edita in hoc volumine exposuit id est ordinavit."
Johannes Faventimis (meine Rechtshanclschr. S. 584 f.) wiederholt die An- gaben beider.
Summa Coloniensis (mein 2. Beitr.).
Summa Parisiensis (das. S. 27 ff.) Sie sagt ausdrücklich an mehreren Stellen dass G. Mönch war und auch, dass er aus Italien war.
Simon de Bisiniano (mein 1. Beitr. S. 23 ff.), der Schüler Gratiaris gewesen sein dürfte (das. S. 25 N. 2).
Sicardus (das. S. 42 ff.) Bei diesen acht allein wird zweihundertmal und dar- über Gratian genannt.
3) Sarti I. p. 260 sqq. geht auf die Angaben ein. Seine Ausführungen machen ein Eingehen auf Märchen und falsche Nachrichten überflüssig. Sarti zeigt, dass er im Kloster von St. Felix in Bologna als Benedictineiinönch lebte und dort sein Werk verfasste, seine Herkunft, der Ort seines früheren Lebens u.A. nicht festzustellen ist.
4) Mein 1. Beitr. S. 6. Maassen, Paucapalea S. 46.
5) Z. B. in einer Trierer, meine Glosse zum Dekret S. 21 §. 1.
6) Meine Lehre von den Quellen S. 319. Maassen, Beitr. S. 35 IX Der*. Paucapalea S. 28 ff. Thaner, Ueber Entstehung und Bedeutung der Formel salva sedis apostolicae auctoritate in den päpstlichen Privilegien. Wien 1872 (Sitz. Ber,
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Angaben von späteren Schriftstellern — Huguccio und Johannes Teu- tonicus sind solche für Gratian — nimml man jetzi mit Maassen, wie -las auch seit Langem die allgemeine Ansichl war, 1150 oder 1151, kurz die Mitte des 12. Jahrhunderts an. Ich habe im Hinblicke dar- auf, dass die jüngste Dekretale dem Jahre 1139 angehört, das Jahr 115! das späteste ist, die Zeil von 1141 — 1150 angenommen. Mit Rücksicht darauf, dass 1) keine Dekretale aus den letzten Lebensjahren [nnocenz II. aufgenommen ist, 2) dass, wie Thaner erwiesen hat, seil dem 6. März 1144 die päpstlichen Privilegien den Vorbehalt ,salva sedis apostolicae auetoritate' in der abstrakten Bedeutung haben, wie ihn Gratian zur G. XXV. q. 1. entwickelt und wie er vordem nicht vorkommt, 3) Alexander III. (unten §. 24) sein Werk über das Dekret bis 1150 vollendet hatte, dieses aber bereits das von Paucapalea be- nutzt, halte ich für gewiss, dass das Dekret zwischen 1139 und 1142 gemacht ist und bereits 1144 in Rom bekannt war. Mit welcher Sicherheit man früher zu Werke ging, zeigt folgende Notiz der Histoire literaire de France (edit. Par. 1750) T. IX. p. 620: ,1151. Gratien, Moine de S. Felix ä Bologne en Italie, püblia cette annee son fameux decret. Le Pape Eugene III. ordonna aussitöt qu'il serviroit de regle dans les tribunaux ecclesiastiques , et qu'on le liroit dans les Ecoles publiques.0
III. Der Name des Dekrets ist unzweifelhaft Goncordia dis- c o r d a n t i u m canonu m. Abgesehen davon , cTäss diese Bezeichnung mit der ausgesprochenen Absicht Gratian's harmonirt 7), wird dieselbe theils ganz ausdrücklich als von Gratian gewählt angegeben, theils als die genau dem Zwecke entsprechende bei den ältesten Glossatoren hin- gestellt 8).
der bist. phil. Gl. der kais. Akad. d. Wissensch; LXXI. 807 ff.) Ders. Summa Ro- landi Seite XXXI. ff. Da dieser Tunkt hier mir nebenbei in Betracht kommt, darf ich für die ältere Literatur auf diese Schriften und mein Lehrbuch S. 27 f. ver- weisen und mich mit dem jetzt als ziemlich feststehenden Resultate begnügen.
7) Z. B. in dem zu c. 6. D. XXII., c. 24. D. L. Gesagten.
8) Paucapalea siebt keinen Namen an. Rolandus, Einleit. „Cum ergo de ne- gotiis ecclesiasticis concordia canonum agat" (mein 1. Beitr. S. 11). Da in der Aus- gabe von Thaner, S. 4. diese Stelle wörtlich auch vorkommt, begreife ich nicht, wie er aus den Worten des Rolandus: „Hoc opus a compilatore nomen aeeepit, non quod ipse decretorum auetor exstiterit, sed de diversis partibus ea in unum colle- gerit," Einleitung 'S. XXV. folgern kann: „aus diesen Worten geht unzweifelhaft her- vor, dass ihm Gratians Werk unter dem Titel: Decreta Gratiani vorgelegen hat,"
- und wie er Anm. 3. das. mir einen Irrthum vorwirft, der ich in der von ihm citirten Stelle (Lehrbuch S. 28 Anm. 1) sage: „indirect gehe der Titel aus Rolandus hervor." Dass dieses richtig ist, ergeben die obigen Worte, noch mehr, dass Ro- landus. nachdem er die soeben abgedruckten Worte gesagt: „Causa scribendi fuit
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Seit dem Ende des 12. Jahrhunderts wird der Ausdruck Decretum Gratiani bei den Schriftstellern der stehende, obwohl die Handschriften die alte Bezeichnung beizubehalten pflegten.
IV. Bezüglich der Eintheilimg des Dekrets ist aus ihm selbst der Beweis 9) zu führen für folgende Sätze :
concordiam canonura demonstrare, eorum differentiam ad concordiam revocare
Cum ergo de negotiis ecclesiarum concordia canonum agat . . ." hat. Wenn das keine inhaltliche Titelbezeichnung ist, haben die Worte keinen Sinn. Nomen bezieht sich auf den Verfasser, bezeichnet überhaupt nicht den titulus. Dies hat Thaner einfach verwechselt, Rolandus sagt aber nur, er wolle mit dem nomen operis beginnen, nicht mit dem titulus. Bufin (Anhang 4): ,universo operi titulum praescribit dis- cordantium canonum concordiam.' Stephanus von Tournay : „Intentio eiusdem est, diversas diversorum patrum regulas, quae canones dicuntur, in unurn colligere et contrarietates , quae in eis videntur occurrere, in concordiam revocare." Die Summa Parisiensis (mein 2. Beitr. S. 27) gibt ausdrücklich den Titel an, die Summa Lipsiensis sagt prooem. : „... legum ecclesiasticarum confusam dissonantiam in- teriectis distinctionibus munire et ad luculentam erigere consonantiam intendit Gratianus in hoc opere. Guius materia sunt leges ecclesiasticae, quae hanc pariunt discrepantiam , de qua supradictum est. Uncle non sine ratione titulus tali operi inscribitur: Incipit concordia discordantium canonum." Wie in den Summen, so ist auch in den Apparaten zum Texte diese Absicht regelmässig bemerkt und findet sich das in der Leipziger Summe angegebene Initium in vielen Handschriften. Vgl. in meiner Glosse zum Dekret S. 7, IV. p, 21, Nr. I., mein Iter Gallicum die Hand- schrift Nr. 8.
9) Dieser liegt ganz klar in den eignen Anführungen Gratians, welche gerade so, wie sie in den Ausgaben stehen, in allen Handschriften sich vorfinden. Gratian verweist im dict. ad c. 6. G, I. qu. 7 auf Gap. priscis igitur 1. D. LV. mit den Worten: „require supra in tractatu ordinandorum.u Dieselbe Bezeichnung ad c. 6. G. III, q. 1, wo c. 9. D. 78, ad c. 50 D. I. de cons., wo c. 12 D. 76 gemeint ist; zu c. 20 G. 16. q. 1. wird c. ult. D. 77 citirt mit „sicut in tractatu de promotioni- bus clericorum" ; zu c. 43. G. 27. q. 1. führt er c. 4. D. 27 an als „in capitulo de ordinatione clericorum". Im dict. zu c. 6. D. 32 sagt er: „sicut subsequens causa simoniacorum demonstrat." Dies beweist unbedingt die Einheit von P. I. Wie könnte er sonst in der 32, Distinction die Causa 1, der noch 69 Distinctionen vor- hergehen, die folgende nennen? In c. 96. G. 1. q, 1 heisst es „require retro in tractatu decretalium", was sich auf c. 9. D. 19 bezieht. Zu c. 26 G. 11. q. 1. „re- quire in principio, ubi differentia Signatur inter jus naturale et jus constitutionis". Im dict. ad c. 4 G. 15. q, 3 beruft er sich auf c. 1 D. 10 mit den Worten: „sicut circa huius operis initium praemissum est." — Pars I. schliesst: „Hactenus de elec- tione et ordinatione clericorum tractavinus. Nunc ad simoniacorum ordinationes transeamus, et ut facile liqueat, quid super hac haeresi sanctorum Patrum decrevil auctoritas, causa deducatur in medium" u. s. w. Um den näheren Beweis zu liefern von der Art, wie Gratian die causae benennt, lasse ich sämmtliche Citate desselben von Stellen der P, II, folgen. Entweder bezeichnet er die Causa inhaltlich oder mit •lern Anfange oder mit ihrer Zahl, einzelne mit. einem technischen Namen. Die causa simoniacorum kam bereits vor, ein Citat de poenitentia in der zweitfolgenden Anmerkung; zu c, 19 G. 6. q. 1 „ut supra patuit in ea causa, ubi de accusatione Schulte, Geschichte. I. Bd. 4
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1. Gratian hat dasselbe sofort in drei Theile zerlegt.
2. Der erste Theil wurde ohne jode speziellere Unterabtheiliing von Gratian als aus zwei Ganzen bestehend angesehen. Die (jetzigen) Disl. 1—20, welche die Einleitung über die Rechtsquellen enthalten, wenleii von ihm als princijpium, initium bezeichnet; in demselben be- zeichnet er das Einzelne nur inhaltlich, z. B. tractatus decretalium (D. 19). Der Rest (D. 31 — 101) bildete ein Ganzes, als tractatus <>r<li- nandorum bezeichnet.
3. Die Pars secunda ist von Gratian selbst in 3(i Causae, die einzelne causa in Quaestiones zerlegt worden. Dagegen stimmen die Verschiebungen einzelner Quästionen 10) und manche andere formale Dinge unserer Ausgaben nicht mit den alten Handschriften. Einzelne Causae wurden nach ihrem Inhalte mit besonderen Namen bezeichnet, z. B. causa simoniacorum die erste, einige als zusammengehörige Ein- heiten angesehen, z. B. G. 27 ff. tractatus coniugii.
4. In der Gausa 33 ist der tractatus de poenitentia von Gratian selbst eingefügt worden, jedoch nicht in äistinctiones , sondern in quaestiones eingetheilt X1), ohne dass über das Weitere sich genauer urtheilen lässt.
Aus den ältesten Glossatoren und Schriftstellern über das Dekret
minovum advevsus majores disputatum est", d. h. G. II. q. 7. Zu c. 26 G. \\ q. 3. „infra in causa quidam episcopus in haeresim lapsusu d. h. G. 23, welche also an- fängt. Zu c. 24 G. 11 q. 3. ,require supra in causa quidam episcopus a propria sede dejectus1, (gemeint c. ult. G. 3. q. 4.) supra in causa In infamia cuiusdam episcopi (Anfang von G. 5, deren c, 2. q. 2. gemeint ist) supra in causa duo fovni- catores (d. h. G. 6, deren q. 3 c. 2. gemeint ist). Andere zu c. 1. G. 14. q. 1, c. 13. G. 15 q. 1, c. 16 G. 16. q. 1. Zu c. 24 G. 11. q. 3. „require in causa XVII. qui- dam presbyter inürmitate gravatus" (deren Anfang), ein anderes in Anm. 11. „Gausa simoniacorumu zu c. 6. D. 32; causa haereticovum zu c. 48. G. 7 q. 1, causa mo- nachorum zu c. 1. G. 13 q. 2, tractatus coniugii zu c, 20. D. 4. de cons. (ut supra in tr. de conj., ubi de compatribus agitur, d. h, c. 4 G. 30 q. 3), „supra in tit. de mutatione episcoporumu wird zu c. ult. G, 25. q. 2 citirt cap, 42. 44. G. 7. q. 1. daselbst c. 61. G. 16 q. 1 angeführt mit „in tit. de alienatione verum ecclesiasti- carum."
10) In G. XVI. ist die q. 5. zwischen 2 und 3 gestellt, in G. IV. sind q. 2 u. 3, in G. XXVI. q. 3 und 4, in G. XXXIV. q. 1 u. 2, in G. XXXV. q. 2 u. 3 je nur als eine Quaestio aufgeführt.
n) Gratian citirt c. 24 G. 11. q. 3. „Item illud Prosperi Facilius sibi deum placabunt, require infra causa XXXIII. ,Maleficiis impeditus', quaestione prima de poenitentia." Diese causa beginnt mit , quidam vir maleficiis impeditus', die citirte Stelle von Prosper ist c. 32, Dist. I. de poenit. anfangend „facilius deum sibi placa- bunt". So steht die Stelle in allen Handschriften und Ausgaben. Ich habe auf diese Stelle bereits in meiner Lehre von den Quellen S. 322 Anm. 17 und 18 hin- gewiesen.
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und aus alten Handschriften desselben lassen sich unsere Kenntnisse noch näher in folgender Weise vervollständigen 12).
12) Ich stelle die Angaben zusammen, für die bereits gedruckten Stellen auf die Abdrücke verweisend.
Paucapalea, Vorrede der Summa über die sachliche Eintheilung (Maassen, Paucapalea S. 56), ad Caus. I. princ. „Hucusque^de clericorum electione et ordinatione tractatum est. Sed quia in ordinatione sive electione peccatum symoniae quandoque committitur, ideo symoniacorum causam, quae prima est, non incongrue secundo loco ponit." Dies deutet offenbar die Einheit des ersten Theiles an. C. IL nennt er „accusationis causam", III. „exspoHatorum causam", IV. „causam cuiusdam ex- communicati," V. „causam clandestinae et apertae laesionis," XXIII. XXIV. causam haereticorum primam, secundam". ad Gaus. XXVII. „In prima decretorum parte de spirituali coniugio, videlicet inter sponsum et sponsam id est inter clericos et ec- clesiam . . . tractatum est." Von einer Unterabtheilung der G. XXXIII. q. 3 findet sich keine Spur, ad Part. III. princ. „Omnibus decretorum causis vel negotiis decursis ad ultimam huius libri ventum est partem, quae quinque est distinciionibus sive di- visionibus divisa." Die erste nennt er „de dedicatione ecclesiarum et consecratione", II. „de corpore et sanguine domini," III. „de temporibus feriarum", IV. „de sacra- mento baptisrnatis", V. de sacramento confirmationis."
Rolandus sagt nichts über die Eintheilung, hat aber einen Text vor sich, der in P. I. schon 101 Distinctionen , in G. 33 q. 3 den tract. de poen. nicht als abge- sonderten, sondern einfach als qu. III., alle 36 causae hat. Die P. III. fehlt; ob er sie commentirt hat oder nicht, ist schwer zu sagen. Da bei ihm die ganze Pars I. in der Ausgabe von Thaner nicht acht Seiten füllt und nichts bietet, als ein Inhalt s- verzeichniss der 101 Distinctionen, ist das Fehlen der P. III. nicht zu verwundern. Rufinus, Prooem. (Anhang 4) schreibt zuerst die Eintheilung in 3 Theile, die Behandlung der poenitentia im 2„ die Scheidung von P. II. in quaestiones ausdrück- lich Gratian, zum Schlüsse aber bestimmt die Eintheilung von I. und III. Paucapalea zu. Es ist gerade dadurch die letzte Mittheilung um so wichtiger. Zugleich beweist (Maassen hat dies übersehen) die blos faktische 'Erwähnung der Eintheilung en weder für Gratian noch für Paucapalea. — ad Dist, XXI. princ. „ . . . Est autem tractatus iste ab hoc loco usque ad causas de ordine." Im Eingang zur Gausa I. nennt er das Vorhergehende „officiorum tractatus'1, P. II. „negotiorum disputationem."
Stephanns Tomacensis, Vorrede (nach einer Darlegung des Inhalts von P. I. und II. bis G. XXVI.) „Tandem ad coniugii causas veniens et eas sufficienter trac- tans in fine de ecclesiarum consecratione, de sacramento corporis et sanguinis do- mini, de baptismo et confirmatione supponit. Distinguitur über iste alias secundum consuetudinem scriptoruni. Lectores in tres partes distinguunt, quod et Gratianus voluisse videtur [diese Worte geben trotz der scheinbaren Unbedingtheit der folgen- den zu erkennen, dass er die genauere Eintheilung Gratian nicht beilegt, seine Worte vielmehr nur etwa so viel heissen, als es sei eingetheilt]. Prima pars usque ad causam symoniacorum extenditur, quam Gratianus per C. et I. distinctiones divisit. Secunda a prima causa usque ad tractatum de consecratione procedit . quae per XXXVI. causas quaestionibus suis decisas distinguitur [wollte man annehmen , er habe gerade die Eintheilung von P. I. Gratian zuschreiben wollen, so müsste man aus den letzten Worten folgernder lege Gratian nicht bei, Avas ihm unzweifelhaft angehört], Tertia a tractatu consecrationis usque ad finem, quam per V. distinctio- nes secant [wieder ein Beweis, dass er nicht stritt redet], Hamm primam mi-
_ r>o
L. Alle stimmen in einer solchen Weise, dass die Abweichung einzelner lediglich auf Vergesslichkeit oder Unkenntniss beruhen kann,,
nisteriis, seeundam negotiis, tertiam ecclesiasticis deputat sacramentis. Scriptorum consuetudo librum istum in quatuor partes distinguit, quarüm unamquamque quar- tam appellant, et primam quidem a prineipio usque ad primam causam, quae est de symoniacis, seeundam a prima causa usque ad tertiam deeimäm, quae sie incipil ,Dioecesjani', tertiam usque ad XXVII., quae esl de matrimonio prima, quartam a XXVII, usque ad finem libri ponunt,"
Johannes Faventinus (meine Rechtshandschr. S. 584 1*.) lud Stephan ausge- schrieben. Da er aber gerade für P. I. und III. nur das Factum der Eintheilun(jT für P. II, die Eintlieüung durch Gratian giebt, muss ich meine a. a. 0. ausge- sprochene Ansicht zurücknehmen und Johannes als indirecten Beleg für Paucapalea's Eintheilung ansehen.
Die Summa Coloniensis sagt über die Eintheilung im Allgemeinen nichts, und zerlegt den Stoff selbst in verschiedene Abtheilungen,
Die Summa Parisiensis hat die Eintheilung der Scriptoren, fügt aber Pauca- palea's Eintheilung hinzu (mein 2, Beitrag. S. 27 f.)
Sicardits giebt bestimmt die Eintheilung gleich Hutin an (mein 1. Beitr, S. 42) nennt die Theile traetatus ordinandorum, causarum, de consecratione. Auch ist er sonsl für die Benennung der Causae etc. von Interesse.
Die Summa Lipsiensis hat 2 Eintheilungen; in der ersten giebt sie als 3. Tlieil das Eherecht, die zweite ist die gewöhnliche; die Eintheilung der tres Partes ist Joh, Faventinus entnommen.
Vgl. noch die Notiz der Glosse des Innsbrucker und Trierer Codex in meiner Glosse zum Dekret S, 7 Nr. IV., 21 Nr. I.
Ein weiteres sehr wichtiges Argument für die Angaben des Textes ist, dass der uralte ,liber aureus decretorum concordatorum' (unten §, 32) zur Pars I, gar keine Unterabtheilungen hat, zur II. aber factisch 36 (mein decret. jur. spec. p. XI.). Dieses Werk hat aber kein einziges der als Paleae bezeichneten Kapitel. Vgl. das^ p. XII, sqq. die ,Excerpta et Summa canonum'. Entscheidend dafür, dass die Ein- theilung von P. I. nicht" von Gratian herrührt, ist der Zusatz der Distinction 73- durch Paucapalen.
Was den traetatus de poenitentia noch insbesondere betrifft, so dürften gegen die Eintheilung durch Gratian noch folgende Umstände sprechen: 1, dass er in einer Handschrift gar nicht vorkommt (meine Glosse zum Dekret S. 2 Note); 2. dass alte- Werke (mein 3. Beitr. S. 11 und meine Abb. Ueber drei Prager CanonensammL S. 222) denselben nicht erwähnen ; 3. dass er bisweilen (wie bei Bolandus, vgl. noch meine Abh. der ordo judic. des Cod. Bamb. S. 23 Note) schlechtweg als quaestio HL citirt wird, Paucapalea auch keine Distinctionen angiebt,
Eigenthümlich ist, dass Huguccio, der sicher (§. 37) die meisten früheren Summen hatte, in der Vorrede sagt: „Modus traetandi. Opus suum magister in tres partes distinguit : Scilicet in distinetiones, causas, in traetatum de consecratione.. Prima pars centum una distinetionibus declaratur, seeunda XXXVI. causis termi- natur, tertia V. distinetionibus terminatur1. Darauf die inhaltliche Angabe. Noch sonderbarer ist seine Bemerkung zu c. 51. G. XXVI, q. 2: ,palea est, sed utüiorT quam g ran um'. Er scheint danach allerdings keine Ahnung von der Urheberschaft Paucapalea's hinsichtlich der Beifügung der Paleae gehabt zu haben. In diesen Worten dürfte der Ursprung der Ansicht Aelterer liegen.
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darin überein, dass das ganze Werk in drei Hawptiheile zerfällt, deren erster die Distinctionen , zweiter die Gausae, dritter den sog. tractatus de consecratione umfasst.
2. Die Eintheilung der Pars prima in 101 Distinctionen und der iertia in 5 rührt her von Paucapalea.
3. Die Abschreiber pflegten eine andere Eintheilung zu machen und vier Viertel (Quarta) zu scheiden: aj Pars I., b) Causa 1 bis 13, c) G. XIV. bis 26, d) G. XXVII. bis zu Ende.
Die seit Paucapalea übliche, regelmässig in den Handschriften und bei den Schriftstellern stehende Eintheilung ist nun: Pars prima mit 101 Distinctiones — Pars secunda mit 36 Gausae, die einzelne Gausa mit Quaestiones; C. 33 q. 3. unter dem Titel tractatus de poenitentia mit 7 Distinctiones — Pars tertia mit 5 Distinctiones unter dem Titel de consecratione. Bis auf die Ausgabe von Carl Dumoidin (Lyon 1554. 4.) wurden die einzelnen Kapitel (Ganones) nicht mit Zahlen versehen; diese Ausgabe half dem ab, zählte jedoch die Paleae nicht. Die Aus- gabe von Le Conte (Paris 1556) zählte auch die Paleae fortlaufend mit den übrigen, was seitdem beibehalten ist.
Was die Sammlung selbst betrifft, so kommen in Betracht: die Quellenbelege, welche, so verschieden sie auch sind, mit dem allgemeinen Namen decreta oder canones bezeichnet zu werden pflegten , die In- scriptionen, die Bubriken und die Paragraphen oder Erörterungen.
Aus Zweckmässigkeitsgründen beginne ich mit den Rubriken und der Eintheilung in Paragraphen, welch' letztere je nach dem Bedürf- nisse gemacht ist und leicht aus jeder Handschrift , sowie aus den besseren Ausgaben entnommen werden kann.
V. Was die Bubriken betrifft, so hat bereits Maassen 13) die An- sicht einzelner Ganonisten späterer Zeit und auch nach dem Referate von Johannes Andrea einzelner älterer: die Rubriken seien von Pau- capalea zugesetzt worden, aus inneren Gründen und aus einem Zeug- nisse Pvufin's widerlegt. Ich könnte es dabei aus dem Grunde be- wenden »lassen, weil die Kenntniss der älteren Literatur bereits bei den meisten Schriftstellern des XIII. Jahrhunderts und vollends der späteren Zeit eine so vollständig ungenügende war, dass auf ihre Meinungen eigentlich gar nichts ankommt. Weil hier aber offenbar am Platze ist, aus den ältesten Schriftstellern möglichst alle sich auf das Dekret beziehende Punkte festzustellen, gehe ich genauer ein, hebe jedoch hervor, dass ich keineswegs alle mir zu Gebote stehenden Notizen mit- theile, weil dies zu weit führen würde. Die Bubriken rühren unzweifel- haft von Gratian selbst her aus folgenden Gründen:
18
) Paucapalea S. 36—40.
- :»}
1. Die meisten sicherlich Paucapalea angehörenden Paleae haben keine Rubriken; es wäre aber unerklärlich, wenn dieser Schriftsteller gerade für die von ihm selbst beigesetzten Belege die Zufügung unter- las« 'ii, für die ursprünglichen aber vorgenommen hätte l4).
'2. Die Zufügung der Rubriken wäre einer totalen Umarbeitung des Dekrets gleichgekommen. Erschiene es aber nicht mehr als sonder- bar, wenn diejenigen Schriftsteller, welche uns so genau über Pauca- palea's Thätigkeit berichten, gerade über diese, welche weit über die Zufügung der Paleae hinausginge, kein Wort sagen? Kein Werk des XII. Jahrhunderts — und dies kommt doch wohl allein in Betracht — saut ein Wort darüber. Nun ist aber das XII. Jahrhundert reicher an Werken über das Dekret, als die folgenden zusammen, wenn man bedenkt, dass diese vielfach nichts als Reproductionen oder geistlose Commentare sind.
3. Alle Handschriften, alte wie neue, haben die Rubriken, wäh- rend hinsichtlich der Paleae die Differenz eine kolossale ist 15).
•i. Ausdrückliche Angaben der alten Glossatoren bekunden Gra- tian's Autorschaft. Rufin bespricht ganz genau Paucapalea's Wirk- samkeit 1G), sagt aber kein Wort von den Rubriken als Zusätzen des- selben, dagegen in der Vorrede (Anhang 4), dass Gratian jedem Kapitel eine Rubrik gegeben, um den Sinn desselben zu bezeichnen, sodann ad c. 1. D. I:
,Et nota quod mag. Gratianus huic capitulo sicut cuilibet sequenti rubricam praescribit. qua continetur summa sequentis capituli, vel ali-
u) Dieses Argument hat bereits Maassen S, 39, jedoch ohne es zu belegen; er verweist dies auf eine nicht erschienene Abhandlung über die Paleae.
Von den unzweifelhaft Paucapalea angehörenden Paleae, welche die Summa Parisiensis ausdrücklich angibt', haben folgende fünf keine Rubriken: c. 7. D. 27, c. 17. D. 32, c. 7. D. 44, c. 23. 24. D. 50. Ausserdem sind ohne Rubriken: c. 1. 11, 1(5. D. 18, c. 13. D. 23, c. 5. D. 31, c. 2. D. 32, c. 2. 3. 6. D. 34, c. 6. D. 37, c. 47. D. 50, c. 3. 6. 8. 16. 17. 18. D. 54, c. 2. D. 56. c. 14. D. 61, c. 3. D. 64; c. 60. G. I. q. 1., c. 6. 13. q. 4. ibid.; C. II. q. 6. c. '23; C. III. q. 9. c. %; G. VIII. q. 1. C. 2: G. IX. q. 1. c. 2. 3, q. 2. c. 2; G. X. q. 2. c. 3; C. XI. q. 1. c. 2. 47, q. 3. c. 38; G. XII. q. 2. c. 55; G. XIII. q. 2. c. 31; G. XVI. q. 2. G. 2. 5.; G. XVII q. 2. c. 2. 14. 24. 25. 26. 42; G. XX. q. 1. c. 7. 10. 15: G. XXI. q. 3. c. 1.; G. XXIII. q. 5. c. 5, q. 8. c. 25; G. XXVII. q, 2. c. 4. 7. 18; G. XXX. q. 3. c. 6; C. XXXI. q. 1. c. 6, q. 2. c. 2 ; G. XXXIV. q. 1 et 2. c. 7 ; C. XXXV. q. 6. c. 2; — c. 58. D. 1. de consecr., also neunundfünfzig. Ich hebe aber hervor, dass keine Paleae berücksichtigt wurden, die blos Zuscätze einzelner Kapitel enthalten, jene, die de eodem überschrieben sind, als eine Rubrik enthaltend angesehen wurden. Von allen Paleae haben aber keine zwölf eine andere Rubrik als de eodem. Somit dürfte der aus- gesprochene Satz vollkommen bewiesen sein,
15) Dieses Argument hat schon Maassen.
16) In der bereits von Maassen veröffentlichten Stelle über die Paleae.
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quid , quod in eo est excellentius. Leguntur autem rubricae , quamvis de auctoritate non sinty quia quorundam capitulorum casus non per se dicentur, sed ex nibricis intelligentur' ,7). Ad c. 1. D. XVI.: ,In primis ergo dicimus, quoniam id, quod Gratianus clicit, et id quod in rubrica sive a Gratiano sive a Paucapalea apposita continetur, authenticum non est, hoc tarnen, quod in rubrica dicitur canones esse reiicienclos, secun- dum quendam moclum loquendi non multum distat ab eo, quod Gra. et Ysidorus dicunt, non esse recipiendos secl removendos.'
Stephan von Tournay 18) hebt die Bedeutung der Rubriken hervor und geht auf ihre Kritik ein, was er schwerlich thun würde, wenn er sie nicht Gratian beilegte.
Die Summa Parisiensis nimmt gleichfalls auf die Rubriken Bezug 19).
Simon de Bisiniano erwähnt eine Rubrik so, class er Gratian selbst- verständlich als Verfasser ansieht 20).
Uralte Schriften wiederholen die Rubriken , als gehörten sie zum Texte21).
VI. Man pflegt jene Erörterungen theoretischer Natur, welche bald die Uebergänge von einer Quellenstelle zur anderen vermitteln, bald zur Erläuterung, bald zur Auseinandersetzung, bald endlich zur Lösung der Widersprüche dienen, seit langer Zeit Dicta Gratiani zu nennen. Dieser Ausdruck ist den alten Glossatoren unbekannt. Sie bezeichnen dieselben als Paragraphen, führen sie auf Gratian zurück und sprechen sich bald in ihren Vorreden oder Glosseneingängen all-
17) Maassen, der S. 39 diese Stelle mittheilt, lässt die sehr interessanten Worte ,non per se dicentur secV aus.
18) Ad Dist. IL „Admonere lectorem volumus, ut per singulas distinctiones summam capitulorum, quae in distinctione continentur, breviter sibi colligat. Quod enim per se potest facere, non debet a nobis, qui prolixitatem operis timemus, exigere." Ad c. 8. G. I. q. 3. „Rubrica huius capituli et fallit et superfluit" etc. Dazu eine Glosse im Codex Berolin. „Unde magister rol. bononie eam emendavit apponens hanc scilicet: de eodem" etc. De eodem steht auch durchweg in den (Ausgaben und) Handschriften. In dem Cod. 17,162 der Münchener Bibl. des Stephan fehlt nicht blos die Glosse, sondern auch die sich auf die Rubrik beziehende Stelle des Textes, obwohl dieser Codex cälter ist, als der Berliner. Die Summa Rolandi hat keine solche Bemerkung.
19) Vgl. die im 2. Beitr. S. 30 abgedruckte Stelle zu c. in legibus 10. C XII. q. 2.
20) Zu c. 34. C, IL q. 6. verbo liceat: „incorrupta littera habetur non liceat. Unde per hoc non probatur Gratiani sententia." Gratians Meinung steht in der Rubrik, die voraussetzt, dass im Texte liceat, nicht : non liceat, steht : Die Correc- tores Romani haben bereits gezeigt, das Original lese ,non liceat*. Vgl. meinen 1. Beitr. S. 38 die Stelle zu c. 1. D. I. de cons.
21) Siehe mein Decretistarum jurispr. specimen pag. 8 sqq. den ,liber aureus' und die ,excerpta et summa canouum'.
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gemein, bald gelegentlich über die Methode Gratian's aus 22). Zugleich ergiebl sich aus verschiedenen Aeusserungen , dass der in den meisten Handschriften und in den Ausgaben vorliegende Text an manchen Stellen dem ursprünglichen nicht entspricht 23), so dass eine wirklich vollkommene Ausgabe des Dekrets eine Benutzung der ge.sammten Lite- ratur des jO. Jahrhunderts erfordern würde. Auch ist festzustellen, dass ausser Paucapalea von anderen Aenderungen oder Zusätze ge- macht worden sind 24).
§• 14. 2. Die Dekrete. Canones und die Paleae.
I. Es war den Glossatoren bekannt und ist aus verschiedenen x) Aeusserungen derselben erwiesen, dass Gratian die einzelnen Concilien- Dekretalen- und sonstigen Stellen aus älteren Sammlungen entnommen hatte. Welche Sammlungen er überhaupt und für die einzelne Stelle benutzt habe, war ihnen jedoch durchweg unbekannt. Denn heben sie auch bisweilen hervor 2), dass eine Stelle im Original verschieden laute,
22j Bufönus Vorrede: „Deinceps antequam", u. s. w. Dict. ad c. 5. D. I. §. cum itaque: „Ecce hie ponit paragraphum suum M. Gra., ut ostendat, quid habeatur ex dietis et ut adducat alia nondum dieta." Ad c, 3. D. 3. Officium: „Hie ponit paragraphum magister" ect. und so sehr oft.
Paucapalea 's Summa bildet zum grössten Theile nur eine Reproduktion der Dicta Gratiani.
Steplianits Vorrede (Fortsetzung der Stelle oben. Note 1.): „Non eorum auetor vel conditor fuit, nisi forte quis eum auclorem ideo dicere velit, quoniam multa ex parte sua etiam distinguendo et exponendo sanetorum sententias in paragraphis suis ponit."
Summa Parisiensis Vorrede: „G. apponit paragraphos ad repetenda dicta . . . Verum nihil fere inducit, qime habere non possint ex praemissis vel subsequentibus. Est autem primus paragraphus eius iste. §, Ex verbis." Dies ist das erste sog. dictum (mein 3. Beitr. S. 28); das. andere Stellen S. 28, 33.
Die Prager Exceptiones decretorum Gratiani (meine Abb. Ueber drei Prager Canonensamml. S. 222 ff.) enthalten massenhaft Auszüge aus den Dicta.
Vgl. die Summa anonyma meines 3. Beitr. S. 43 und die andere daselbst S. 44, welche das Dictum officium der Dist. III. und andere erörtert.
Interessant ist die (mein 1. Beitr. S. 23) von Simon de Bisiniano angegebene Notiz über Gratians Methode, zwischen zwei canones Item, „inter paragraphum et canonein semper vel Unde et Hincu zu setzen.
Der von mir publizirte ,Ordo jud. Cod. Bamb.' citirt constant die dicta suis §, 23j Vergleiche meinen 3. Beitrag S. 23.
24) Siehe die oben Anm. 16 mitgetheilte Notiz aus einer alten Glosse , die Notizen aus der Summa Parisiensis u. s. w.
*) Vergl. die im §. 12 mitgetheilten Stellen; andere kommen bei den einzelnen Schriftstellern vor.
2) Vergl, die Stellen in §. 13 zu Anm. 13, 14, II. 5, im §. 26 u. s. w,
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so ist dadurch deshalb in der Regel nichts bewiesen, weil sich diese Stellen meistens in mehreren von Gratian entschieden benutzten Samm- lungen vorfinden. Wollte man nun auch annehmen, die ältesten Glos- satoren hätten den Originaltext Gratian's vor sich gehabt 3), so müsste man ihnen eine Kenntniss aller Sammlungen zutrauen, welche Gratian gehabt, und noch überdies annehmen, sie hätten den Text Gratian's mit den verschiedenen Sammlungen genau collationirt 4). Ersteres ist gewiss nicht der Fall gewesen, wie die geringe Zahl der Sammlungen beweist, für welche sich ihre Kenntniss feststellen lässt, Letzteres hiesse ihnen einen kritischen Blick beilegen, welchen die Zeit nicht hatte. Mag daher auch in dem Vergleichen überhaupt ein Anfang von Textkritik zu sehen sein, so bleibt doch reiner Zufall, wenn ein Glossator wirk- lich die richtige Sammlung verglichen hätte. Selbst wir könnten auch heute nur dann unbedingt behaupten, eine Lesart weiche vom Gratia- nischen Texte ab, wenn sich erstens positiv feststellen Hesse, woher Gratian den Text habe 5) , und zweitens der Gratian'sche Text fest- stände. Die Kritik der Glossatoren hat also meistens nur einen secundären Werth, einen solchen für die Herstellung des Textes nur insoweit, als ihre Beschaffenheit für den von Gratian benutzten Text eine Bürgschaft giebt, oder als wir dadurch auf die gebrauchte Sammlung geführt werden.
II. Neben den Quellenbelegen, welche decreta oder canones heissen, enthalten die Handschriften in grösserer oder geringerer Anzahl Stellen, welche die Bezeichnung Paleae 6) tragen. Ihre Anzahl ist bis heute nicht feststehend und lässt sich auch nach dem Zustande der Hand- schriften nicht feststellen. In der folgenden Tabelle werden sämmt- liche Distinctiones, Gausae, Quaestiones und Kapitel nach der Ausgabe von Richter aufgezählt, wie sie dort auf einander folgen. Es ergiebt sich daraus die Gesammtsumme für Pars I. von 966 capita, P. II. von 2486, P. III. von 396, zusammen 3848 Kapitel.
s) Das mag bei Paucapalea der Fall gewesen sein. Bei keinem späteren trifft es zu, weil alle von verschiedenen Lesarten reden.
4) Ich gestehe übrigens, dass ich sehr bezweifle, ob Gratian alle Sammlungen kannte, die im Dekret benutzt zu sein scheinen. Es giebt noch eine Menge nicht beschriebener vermittelnder Sammlungen, so dass es höchst wahrscheinlich ist, dass er eine kleinere Anzahl vor sich hatte, als angenommen zu werden pflegt. Merk- würdig wäre es, wenn in jener Zeit in Bologna alle von Gratian scheinbar benutzten Sammlungen sich befunden hätten, da heutzutage kaum eine einzige Bibliothek sie hat, obwohl man aus der ganzen Welt für einige die Codices erworben hat.
5) Das träfe im einzelnen Falle zu, wenn die Stelle nur in einer Sammlung steht. Aber selbst dann müssten wir sicher sein, dass Gratian eine bestimmte Lesung vor sich hatte.
6) Ueber dieselben handelt eingehend meine Abhandlung ,Die Paleae im Dekret", Wien 1875 (aus den Sitz. Ber. der kais. Akad.), auf deren Resultate ich mich Hier stütze. Vgl. auch §. 13 Anm. 12 am Ende.
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Causa. Quaestio, Capita.
27 2 51
28 l 17
2 2
3 2
29 1 0 2 8
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3 7 9 6 5 11
31 1 12
2 4
3 1
32 1 14
2 16
3 1
4 15
5 23
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7 28
8 1
33 1 4 2 19
Pars III.
Dist. Capita.
1 73
2 97
3 30
4 156
5 40
Davon wurden bisher als Paleae angenommen von Richter 152, von denen Bickell 10 nicht als solche zählt, von letzterem 150, von denen Richter 9 nicht dazu rechnet. Zählt man alle, welche beide und der eine oder andere hat, zusammen, so ergiebt dies 161. Man darf aber in Wirklichkeit noch mehr Kapitel als später zugesetzt ansehen.
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Tract. de |
poen. |
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Dist. |
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Zinrst hat Faucapalea solche Zusätze gemacht; daraug erklärt sich der Name 7). Die von Ihm zugefügten sind jedoch keinesfalls sehr zahlreich gewesen. Nach und mich wuchs deren Zahl. Die in den späteren Handschriften und Ausgaben enthaltenen erschöpfen die Zu- sätze nicht, da feststeht, dass auch noch andere Kapitel, Dicta u. s. w., ja eine ganze Distinction, die 73., zugefügt worden ist — letztere von Paucapalea. Auch der Text der Ausgaben, insbesondere der römischen, leidet dadurch, dass er wiederholt zwei Kapitel hat, wo die ältesten Handschriften nur eins haben u. s. w. Die für Paleae gehaltenen Stellen wurden mit Ausnahme einer kleinen Zahl (bei Johannes Teutonicus 27) weder in der Schule berücksichtigt, noch in der Regel in den Summen; man sah sie also nicht als Theile des reeipirten Werkes an. Ihre (Quelle ist vorzugsweise Burehärd, sodann Ivo und Anselm, einige sind dem römischen Rechte, einige aus anderen Stellen des Dekrets, einige aus nicht genauer festzustellenden Sammlungen oder einer Originalquelle entnommen.
III. Zweck des Dekrets ist ausgesprochener Massen, ein Werk zu liefern, welches für das anzuwendende Recht die vielfachen in den früheren Sammlungen vorfmdlichen Widersprüche auflösen solle. Auf den Füssen Früherer 8) stehend, begnügt Gratian sich nicht mit der Aufnahme der letzten (jüngsten) Bestimmung über einen Gegenstand, sondern nimmt durchweg alle ihm in den verschiedenen Sammlungen vorliegenden Stellen auf: particuläre, allgemeine, kirchliche, weltliche. Die zwischen diesen vorhandenen Widersprüche, contrarietates (canones discordantes) löst er nun dadurch auf (sohlt io , ad concordiam revo- care) , dass er auseinandersetzt , wie eine Satzung mit einer anderen nicht im Widerspruche stehe, weil die eine älter, die andere jünger sei, die contrarietas sich also durch die Zeit hebe (tempore), die eine nur eine bestimmte Kirche, Oertlichkeit im Auge habe, die andere all- gemeiner sei (loco), die eine von einer geringeren Autorität als die andere, die eine die Regel, die andere die Ausnahme enthalte (dis- pensatione) u. s. w. Hieraus ergab sich ihm die Methode, das System.
7) Auf die früheren Versuche, den Namen zu erklären, braucht nicht näher eingegangen zu werden.
8) Schon Deusded t (Ausgabe von Martinuzci Venet. 1869 p, 3) macht auf die Widersprüche aufmerksam und stellt den Grundsatz auf: ,inferior auetoritas potiori cedere debebit'; auch Ivo in der Panormia deutet dies an; Petrus Lom- bardus hat ganz die von Gratian befolgte Methode. Auch andere Sammlungen (vgl. meine Abh. über drei Prager Can. Samml. S. 212) befolgen sie. Die Bubrihen ver- schiedener älterer Sammlungen enthalten bereits ein vermittelndes theoretisches Element. — Die im Texte geschilderte Methode wird die Leetüre sofort ergeben.
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Es ist das mit Petrus Lombardus 9) beginnende oder — da bereits frühere Werke dieselbe Methode im Keime haben — wissenschaftlich ausgebildete scholastische System. Ein positiver Satz wird als der Aus- gangspunkt genommen. Ist er faktisch allgemein anerkannt, so gilt er darum als wahr; finden sich mehrere Sätze über denselben Gedanken, so prüft man wiederum lediglich auf Grundlage der Thatsachen, welcher der richtige sei. Was die römische Kirche annahm, galt als die richtige Lehre, die römische Papstautorität als die höchste 10). So hatte man allenthalben die feste Prämisse, aus welcher man lediglich logisch zu folgern brauchte. Die juristische Construction besteht nun darin, dass man, ohne nach der Entstehung, dem Grunde (ratio), dem Zwecke des Rechtssatzes zu fragen , diesen in seine Theile zerlegt , für seine An- wendung, die sich aus ihm oder aus anderen Sätzen ergebenden Unter- scheidungen macht (äistinctiones) und diese wiederum aus den Quellen belegt. So verfährt Gratian im 1. und 3. Theile und im tractatus de poenitentia. Im 2. Theile stellt er einen Rechtsfall (causa) auf ir), untersucht, welche Rechtsfragen (quaestiones) zu dessen Entscheidung beantwortet werden müssen. So bildet sein Buch ein scholastisches Lehrbuch, ganz ähnlich den für die Dogmatik damals bereits herkömm- lichen, mit dem Namen Sententiae bezeichneten Lehrbüchern 12). Der
9) Ob Gratian die Sententiae des Petrus kannte und benutzte, ist controvers. Sarli (II. p. 3 sqq.) lässt den Petrus aus Gratian schöpfen ; ich habe im 3. Beitr. S. 13 f. die Gründe für das Gegentheil dargelegt.
10) Dies wird in dem langen dictum ad c. 16, G. 25. q. 1. ausgeführt. Thaner über die Formel salva sedis apost. auetoritate und Summa Rolandi Einl. S. XXXIX. hat gezeigt, dass die Theorie Gratians, jedes Privileg enthalte die selbstverständliche Glausel , salva sedis apost. auetoritate', aus der Collectio Anselmi entlehnt ist.
1J) Z. B, Causa XVII.: ,Ein kranker Priester will Mönch werden, leistet auf die innehabende Kirche und das Beneficium in die Hand des Patrons Verzicht, wird gesund und stellt die Absicht, Mönch zu werden, in Abrede und fordert Kirche und Beneficium zurück. Hier fragt sich (q. 1) zuerst: ist der Gelobende gebunden oder kann er zurücktreten'?, zweitens (q. 2): ist Kirche und Beneficium dem wieder zu geben, der früher freiwillig verzichtete? drittens (q. 3): wenn er sich und seine Habe dem Kloster übergeben hätte, könnte er mit Erlaubniss des Abtes in sein Eigen zurückkehren? viertens (q. 4): wenn er ohne Erlaubniss des Abtes zurücktritt, muss ihm der Abt sein Eigen zurückgeben'?'
12) Ueber einen Über sententiarum des Algerus von Lüttich, s, Hüffer, Beitr. zur Gesch. der Quellen des Kirchenr., Münster 1862, S. 1 ff. Das Wesentliche dieses Werkes, wie seiner Vorläufer: liber sententiarum des h. Isidor (Migne, Patrol. Bd. 83.) Prosperi (das. 45), Hugo von St. Victor (das. 176), der späteren Robert Pallas (das. 186), Petrus Lombardus besteht in der Aufstellung theoretischer Sätze, welche durch Excerpte aus Vätern u. s. w. bewiesen werden. Dieselbe Methode haben auch viele alte Sammlungen, bei denen die Rubriken den kurzen Text bilden. Rolandus (mein 1. Beitr. S. 18) verweist die Erörterung des tract. de poenitentia in sein (nicht bekanntes) Lehrbuch der Dogmatik (Sententiae). Vgl. unten §. 26.
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Text des Gratianischen Lehrbuchs bestellt aus den kurzen Einleitungen, aus den von ihm gemachten oder aus anderen Sammlungen herüber genommenen Rubriken und den Erörterungen (Paragraphen, dicta), welche die Lösungen geben, das Resultat feststellen u. s. w. Die Quellenstellen bilden die Belege. Mit Recht sagt daher Rufin in der Vorrede von ihm: ,Unde palam est, summam quandam totius theologiae paginae contineri in hoc libro.' In unserer heutigen Form gedruckt liesse sich das Dekret als ein Grundriss geben, zu dessen Paragraphen- Ueberschriften oder Definitionen die Excerpte aus den Quellen in die Anmerkungen zu verweisen wären. Ein logisch durchdachtes oder sich aus dem Stoffe ergebendes System liegt nicht vor. Wo der sich lose entwickelnde Stoff Gelegenheit bot, reihet sich der naheliegende an. Gleichwohl lässt sich der Einfluss der römischen Rechtswissenschaft fest- stellen. Die Einleitung (P. I. dist. 1—20) erörtert die •Rechtsquellen, der tractatus ordinandorum (dist. 21 — 101) das jus quod pertinet ad personas, Alles, was sich auf die Stellung der Hierarchie als solcher, die einzelnen Mitglieder derselben in ihrer öffentlichen Stellung bezieht; der zweite Theil behandelt das jus quod pertinet ad res und ad actiones: Klerus als res ecclesiastica 13) (Beneficien, kirchliche Abgaben, Ein- künfte, Gerichtsbarkeit über den Klerus), Kirchenvergehen, Ehe, Busse als Object kirchlicher Jurisdiction ; der dritte Theil begreift die rein geist- lichen Sachen, Gultushandlungen: Weihe der Kirchen, Messe, Abend- mahl, Festtage, Taufe, Firmung, Salbung, Fasten u. s. w\14). Aller- dings hat er dies System nicht consequent ausgeführt. Dass wir eine lose Anlehnung an das römische System haben, ergiebt nicht so sehr der Umstand, dass ein in Bologna lehrender Theolog mit demselben unzweifelhaft bekannt war, wie die Aufnahme von Stellen aus dem- selben beweist, sondern vor Allem die Thatsache, dass die Ordnung Gratian's neu und keiner einzigen der bekannten vor ihm liegenden Samm- lungen entnommen ist. Er hat offenbar mit Bewusstsein das bisherige System verlassen und ein juristisches beabsichtigt. Diese Wendung
13j Dass der Klerus als res ecclesiastica angesehen werde, habe ich schon in meinem Kirchenr. I, S. 396, II. 412 hervorgehoben; den Beweis liefert die von mir edirte Abhandlung de sacrilegiis et immunitatibus (über drei Prager Canonen-Samm- lungen S. 184 f.)
14j Es ist charakteristisch, dass Gratian die Ehe und Busse zu den eigentlich juristischen Dingen rechnet und in dem Theile von den Bechts fällen behandelt, die Taufe, das Abendmahl und die Firmung u. s. w. zur Liturgie stellt, die Ordination ebenfalls als juristischen Akt des Erwerbs öffentlicher Rechte behandelt. Ist ihm auch sicher das Einzelne nicht klar gewesen, so beweist doch sein System, dass er den dogmatischen Gesichtspunkt nicht als Grundlage des Systems nimmt.
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ist sofort den Bearbeitern aufgefallen. Schon Paucapalea 15) betont, dass das Recht bekannt gemacht werden solle, Eolandus lehnt, wie gesagt, die Behandlung des ihm nicht juristisch scheinenden Busswesens in einem Werke über das Recht ab, Rufin 16) setzt in der Einleitung zur Summa die rechtlichen Gesichtspunkte auseinander, überweist aber die actiones , welche er im strictesten Sinne als Klagen auffasst, dem Givilrechte zu, obwohl er selbst hervorhebt, dass das Gerichtswesen dem canonischen Rechte zufalle. Simon 17J betont, dass erst Gratian das canonische Recht zugänglich gemacht habe. Wiederholt heben die alten Ganonisten hervor, dass eine Frage sie nichts angehe, sondern den Theologen zu überlassen sei 18).
IV. Was die Quellen betrifft, aus denen das Dekret gemacht ist, so war es schon den ältesten Glossatoren bekannt, dass Gratian aus anderen Sammlungen, nicht eigentlich aus den Originalien geschöpft habe; sie bezeichnen auch wiederholt die eine oder andere Sammlung als sein Original 19).
Als die von ihm vorzugsweise benutzten Sammlungen pflegen auf- gezählt zu werden die von Ansehn von Lucca, Älgerns von Lüttich, Burchard von Worms, DeusdedU Cardinal, Dionysius Exiguus, Iva von Ghartres (Dekret und Panormia), Polycarpus des Gregorius, Eegino von Prüm, die Collectio Hispana, Pseudoisidor, Coli, trium partium 20). Es ist unmöglich, an diesem Orte eine Untersuchung über die Herkunft der einzelnen Kapitel anzustellen; dazu bietet nur eine Ausgabe den Ort. Einiges jedoch glaube ich hervorheben zu sollen. Mir erscheint
15) Dessen Vorrede zur Summa in Maassen, Paucapalea S. 51 ff.
16) Anhang 4 von den Worten : ,Vertitur itaque jus forense, bis, coniugio et huiusmodi.'
17) Mein 1. Beitrag S. 38.
18) So Sicardus {mein 1. Beitr. S. 56) bezüglich der Transsubstatiation.
19) Vgl. Aeusserungen dieser Art von Simon (mein 1. Beitr. S. 36 ff.), Summa Parisiensis (mein 2. Beitr. S. 29 ff.,) Summa Lipsiensis (meine Summa Lips. 14). Ich könnte aus Rufin, Huguccio u. A. massenhafte Gitate geben. Es genügt Rufirfs Vorrede (Anhang 4) : ,Denique, antequam ad litteram accedamus' etc.
20) Vgl. die Vorrede in der römischen Ausgabe, ebenso die in der von Böhmer, Richter u. s. w. Für den Text kommen ganz besonders in Betracht: Ant, Au- gustinus, Aren. Tarracon. Dialogorum libri II. de emendatione Gratiani, Steph. Baluzius, Tutelensis emendavit, notis illustravit et novas emendationes adjeeit ad Gratianum. Paris 1760. 2 voll. Erste von Baluze 1672. 8., nachgedr. und mit unbedeutenden Noten vermehrt. Duisburg 1677. 8. Die erste Ausg. überhaupt er- schien 1587 Tarrag., dann Paris 1607. 4. Die Duisb. Ausg. bei Galland und Opp T. III. Seb. Berardi, Gratiani canones genuini ab af>ocryphis discreti. Venet. 1783. 4 Bde. 4. In der Ausgabe von Richter sind die Nachweise früberei nicht blos auf- genommen, sondern sehr ergänzt.
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an sich unwahrscheinlich, dass Gratian alle oben angeführten Samm- lungen selbst benutzl habe, weil schwerlich sein Kloster oder irgend eine aridere Bibliothek in Bologna sämmtliche enthielt, die einzelnen Ganones auch vielfach eine Form haben, welche bekunden, dass sie aus Excerptensammlungen entnommen sind. Die Feststellung: ob Gratian eine bestimmte Stelle einer bestimmten Sammlung entnommen habe, ist durchweg auf Grund einer gedruckten Ausgabe äusserst schwer, an der Hand der römischen unmöglich 21). Um dies zu ermöglichen, be- dürfte es wo nicht einer Ausgabe, der ausschliesslich alte Handschriften des 12. Jahrhunderts zu Grunde gelegt würden, mindestens einer Unter- suchung auf Grund solcher. Die justinianischen Quellen hat Gratian unmittelbar benutzt, ebenso die lombardischen, für die neuesten Dekre- talen hatte er wohl Abschriften zur Hand.
■ 8- 15. 3. Citirart. Ansehen. Bearbeitung. Heutige Geltung. Ausgaben.
J. Die Citirart ist schon sehr früh eine ziemlich gleichmässige ge- worden. Gratian selbst x) citirt nur aus Pars I. und Pars II. , keine Kapitel, sondern entweder Pars I. oder die causa inhaltlich oder mit einer Collectivbezeichnung, z. B. causa monachorum, haereticorum, oder mit der Zahl, wodurch die ursprüngliche Eintheilung der P. II. durch ihn selbst bewiesen wird. Paucapalea 2) citirt stets capitulum und die Anfangsworte, wenn das Kapitel in derselben Distinction steht, sonst die Zahl der Distinctio, Causa und quaestio mit der Zahl. Bufinus*)
21) Man braucht nur die Summen von Paucapalea, Rolandus, Rufin, Ste- phanus u. s. w., die mir vorliegen, zu nehmen, um zu sehen, wie sie vielfach einen anderen Text hatten. Der römische Text ist nicht der Text Gratians, sondern ein willkürlich componirter.
*) Siehe die im §. 13 Anm. 9. zusammengestellten Gitate. Eine der Citirart Gratians entsprechende weist ein G. Hänel gehöriger Codex auf. Vgl. meine Notiz in Dove, Zeitschr. f. Kirchenr. XI. S. 306 f.
2) Z. B. D. XXXI. „Sicut dicit Greg, in Capitulo illo ante trienniunr1, (c. 1 ibid.) D. XXXIII. „ut in cap. illo legitur habuisse te coneubinam etc." D. XLVIII. „ut supra d. XXV.", D. L. „ut supra d. XLV. In C. VII. „ut supra C. I, quaestio prima." In C. XV. „ut supra p. I. (parte I.) d. XXXV." in C. XVI. q. 3. „ut supra C. XV. q. II." das. q. 5. „ut supra C. I. q. III. cap. IV.", in C. XVIII. „ut supra p. I. d. XLV.", ( I. XXVII. „ut infra in causa XXXVI. q. II. cap. Tria legitima", „s. I. p. di. XXVI." Er hat überhaupt sehr wenige Citate, und diese meist nur allgemeine; nur die in C. XVI. <[. 3. und XXVII. sind, wenn ich richtig notirt habe, specielle.
3) D. IV. dict. ad c. 6 „ut infra reperitur causa XXV. Q, I. hac consona" (c, 13), c, 4. D. V. „huic videtur contrarium, quod continetur in XXII. ca. q. II. hoc
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citirt stets die Distinctio und Causa mit der Zahl, die einzelnen Kapitel bald mit dem Anfange, bald mit der Zahl. Rolandus4) führt die Ka- pitel meist mit der Zahl an, während die Summa Coloniensis, Bam- bergensis, Simon, Sicardus u. a. gleich Rufin wechseln 5). Das Citiren mit Zahlen liefert den Beweis, dass der Text von Paleae ziemlich frei war. Mit deren Reception wird es seltener, vom Ende des XII. Jahr- hunderts an bildet die Anführung des ersten Wortes oder der ersten Worte die Regel. Beim ersten Theil setzt man dem cap. und der Dist. nichts hinzu, beim zweiten das cap., die causa und quaestio, im tract. de poen. den Zusatz de poenitentia mit cap. und dist. , in dem dritten cap. und dist. mit dem Zusätze de consecratione. Um das Auf- finden der einzelnen Kapitel zu erleichtern, machte man die alphabe- tischen Kapitelverzeichnisse , welche seit der Ausgabe von he Conte die Zahl der Kapitel, Distinction u. s. w. angeben und in allen Ausgaben gedruckt sind. Niemals wird aber in jener Zeit das Wort canon, sondern stets capitidiim gebraucht; canon ist erst in viel späterer Zeit in Auf- nahme gekommen, offenbar mit Unrecht, da capitidiim überhaupt von jeher gebraucht wurde und als das einzelne Stück bezeichnend besser passt, was sich von canon nicht sagen lässt.
Unsere heutige Gitirmethode ist folgende: für Pars I: c. 15. D. XVIII. oder can. Propter ecclesiasticas 15. D. 18 ; — P. II : c. 29 (oder can. Si quis suadente 29.) G. XVII. (17) Q. (q.) 4; c. 45. D. II. de poen.; — c. 12. D. I. de cons. (c. Missarum solemnia 12.) D. I. de cons..
II. Ueber das Ansehen des Dekrets, sowie über das Verhältniss der Schriftsteller zu ihm und zu Gratian's Aussprüchen liegen uns zwar im Ganzen keine principiellen Erörterungen, aber doch eine so grosse Menge gelegentlicher Aeusserungen und praktischer Anwendungen vor, dass wir darüber ziemlich klar werden können.
Ist auch sehr vereinzelt 6) das Dekret als ein förmlich anerkanntes
capitulo cum humilitatis causa mentiris" (c. 9). ,,D. XIV. c. 2. „ut est j. (infra) d. LXXX. II. presbyter", c. 7. D. XXI. „ubi Si papa di. XL . . . Sane profertur causa XXIV. q. IL", G. I. pr. „ex illo capitulo qui studet C. I. q. I." „ut infra q. V. c. L... illius cap. quicunque q. e. (quaestione eadem). . . sed infra C. XII. q. IL c. praecariae et causa XVI. q. ult. c. III. et infra III. q. per totuin . . . infra de co. d. III. c. Ro- manus . . . infra q. V. c. 1 . . . contra XVII. q. ult. c. 1 , , . supra d. XXIX. c. III. et LXXXI. c. si quis amodo . . . [zu q. V.] supra q. I. c. 3 et infra G, VII. q. I. c. prae- sentium . . . supra XL d. c. 1. 2. 3. et 4"
4) Mein 1. Beitrag S. 19. Thaner, Einl. S. XVIII. ff,
5) Man sehe meine cit. „Beiträge" und „Glosse zum Dekret", worin massenhafte Belege vorkommen,
6) Darauf, dass Guido a Baysio (Rosarium ad c. 8. D. IX.) es den Dekretalen gleichstellt, weshalb ihn Joh. Andreae, Novella ad c. Ex parte 2. de rescr. zurecht- weist, auf die Erzählungen einzelner Alten, denen folgend auch Tri'hemius es von
Schulte , Geschichte. I. Bd. 5
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Rechtsbuch angesehen worden, so sind sich doch die Glossatoren be- wusst, däss dasselbe lediglich an und für sich als eine Privertarbeit er- scheint. Sie setzen deshalb auseinander, Gratian habe die Intention, die anscheinenden Widersprüche der mannigfaltigen Dekrete zu lösen; sie erörtern zum Theile weitläufig- (z. B. Rwfvn zur Dist. XX.), wann die Meinung eines Kirchenvaters, wann der Ausspruch eines Papstes ein grösseres Ansehen geniesse; sie führen auch wohl geradezu aus, dass die Zuthaten von Gratian, z. B. die Rubriken, ohne Autorität seien und nur des Nutzens halber gelesen würden 7) ; sie üben an Gratian's Werk eine Kritik 8). Ganz besonders zeigt sich aber die her- vorgehobene Anschauung darin, dass die älteren Glossatoren in grossem Umfange auf Stellen Bezug nehmen, welche sich im Dekret nicht vor- finden 9), und sehr häufig auf das Original verweisen 10). Denn erstens ist hierdurch bewiesen, dass sie dem Dekret keinerlei codificirenden Charakter beilegen, zweitens geht daraus hervor, dass sie nicht den Text
Eugen III. approbiren lässt, was andere nachgeschrieben haben (meine Quellen S. 329 N, 3) u. A. kommt nichts an. Interessanter bleibt der Titel des von mir (Decret. jurisp. specimen p. XII.) beschriebenen Werkes des Codex Gottwicensis saec. XII. ,Excerpta et Summa Canonum sive decretorum sicut apostolica sanxit auctoritas,' der mindestens beweist, dass man sehr früh an eine förmliche An- nahme dachte.
Originell denkt sich Rudorff (Zeitschr, f. Rechtsgesch. VI. [1867J S. 420) die Sache, indem er sagt: ,,Die in ihrer Herrschermacht gefährdete Hierarchie erkannte zwar sofort die Nothwendigkeit, das feindliche und freiheitliche Culturelement durch Aufstellung eines ebenbürtigen Gegners zu bekämpfen. Dem dreifachen Digestum wurde das dreitheilige Dekret Gratian's , dem secundären Codex und den Novellen wurden die Dekretalen entgegengesetzt." Das Dekret, vor 1150 von einem Privaten gemacht, die Dekretalen, welche Rudorff im Auge hat, 1234 publizirt, das als über- legter Plan gegen das neu bearbeitete Pandektenrecht von Seiten der Hierarchie, die ihren ganzen Bau auf der Grundlage des römischen Rechts ausgeführt hat!
7) Siehe die oben §. 13 V. 4 abgedruckte Stelle aus Rufin zu D. I. princ.
8) Vgl. oben §. 13 Anm. 18, die Stelle aus Jöh. Fav. Glosse in meiner Glosse z. Dekret S. 40, wo er den Titel kritisirt; Beispiele von Kritiken bietet Simon, Summa Parisiensis {meine Beiträge I. S. 36 ff., II. S. 33) u. s. w. Stephan zu §. Ve- rum h. a. C. I. q. 2. „Non videtur bene inferre Gratianus, cum auctoritas Prosperi, qua id confirmat, loquitur de iam receptis et ipse concludat de reeipiendis." Ro- landus (Thaner S. 216 ff,).
9) Die Citate aus Burchard sind massenhafte. Bei Rufin kommen Dutzende vor, ebenso viele bei Stephan, Simon {mein 1. Beitr. S. 34), in der Summa Lipsiensis, einzelne auch bei Sicardus (1. Beitr. S. 50), in anderen Summen (2. Beitr. S. 43) und in den Glossen. Nicht minder beweisen es die mannigfachen Citate aus Augusti- nus. Hieronymus u. s. w., die Nachträge älterer Dekretalen u. dgl. in.
10) Vgl. oben §. 12 verschiedene Stellen. Stephan zu c. 12. C. I. q. 3 „.. a nie relicta sunt verba Gratiani, usque ,quisquis' ut sie ineipiat decretum quisquis ex conseeratione' i. e. tempore consecrationis oblatae sunt.'
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Gratian's als entscheidend ansehen, folglich jeder Stelle diejenige Be- deutung beilegen, welche sie an und für sich hat. Im Laufe der Zeit änderte sich jedoch die Anschauung. Das Dekret galt von der Zeit an, wo es den Vorlesungen zu Grunde gelegt wurde, als die canomsche Bechtssammlung im eigentlichen Sinne n). Alle Thätigkeit der Cano- nisten concentrirte sich bald auf dasselbe, wenn auch in verschiedenen Formen (unten §§. 31. 32.). Je mehr wir dem Ende des XII. Jahr- hunderts näher treten, desto seltener wird das Zurückgehen auf die älteren Quellen 12). Als dadurch die Literatur den Charakter ihrer Originalität und Frische elnbüssend zur reinen Kommentaristik an- schwoll, vergass man den Charakter des Dekrets und sah es für das ältere Recht bis auf dessen Zeit als Corpus iuris canonici an 13).
n) Das beweisen die Ausdrücke decreta, decretum, die Citate in decretis, die Thatsache, dass nur das Dekret als Vorlesebuch gebraucht wurde, bis auf die Com- pilatio prima, dass man in dasselbe die neuen Dekretalen und Ganones, sowie die ausgelassenen älteren einfügte, endlich die Abfassung der Anhänge, welche als Er- gänzungen erscheinen.
12) Ich bezweifle, dass Huguccio eine einzige Bezugnahme hat, die er nicht schon bei seinen Vormännern fand.
13) Wenn schon Bufmus zu c. 12. D. I. sagt: „Quidam libri habent ,de cautio- nibus', et ideo hoc praetereundum non est" und jetzt eine kurze Erörterung (über Cautionen giebt, so liegt darin schon der Gedanke: was im Dekret stehe, müsse be- sprochen werden. In der Stelle in meinem 3. Beitr. S. 23, einer bald nach Rolandus gemachten Quästionen-Sammlung heisst es: „Tertio quaeritur, utrftm pactio coniu- galis faciat matrimonium. Quod videtur iuxta illud Com initiatur. Conjuges Ca. XXY1I. Q. I. Sed e contra probatur auctoritate Augustini dicentis Consensus. Hoc tarnen decretum non est in corpore decretor um." Da diese Worte andeuten, dass das c, 3 unserer Ausgaben zu dem voraufgehenden dictum Gratiani gehört , was durch die Notiz der Gorrectores Romani und den Hänerschen Codex (dieser hat das cap. 3 als Theil des dictum) bestätigt wird, so ist damit gesagt: erstens die dicta haben keine den decreta gleiche Auctorität, zweitens das Decret bildet ein geschlos- senes Ganzes. Petrus von Blois (Speculum juris can. ed. Reimarus , Berol. 1837 pag. 16) führt Gratians Ansicht als entscheidend an. Den vollständigen Beleg bildet der Umstand, dass man schon früh im XII. Jahrh. nicht im Dekret stehende päpst- liche Dekretalen extravag antia capitula nennt, so in der Summa des Stephanies, der Summa Coloniensis (mein 2. Beitr. S. 13 f.). Bei allen folgenden bildet Extra- vagans die stehende Bezeichnung für die nicht im Dekret stehenden Dekretalen. Bernhard von Pavia giebt seiner Sammlung den Namen Breviarium Extravag antium, und Gregor IX. endlich erklärt alle Dekretalen , die nicht im Dekrete und seiner Compilation stehen, für aufgehoben. So begreift man, dass man dasselbe geradezu Corpus juris canonici benannte: Urk. von 1262 bei Sarü app. 214. 2. — Bekannt- lich hat Gratian's Ansicht mehrfach Gesetzeskraft erlangt, z. B. die im dict. ad c. 3. G, 31 q. 1 über den Ehebruch mit. Eheversprechen und machinatio in mortem. Innocenz III. im cap. 20. X. de elect. I. 6. „Quidam vero ad concordiam discor- dantia revocantes ... dicentes" (er deutet, hier auf die dist. 56), setzt dem Dekret das neuere Recht, eine Dekretale Alexanders III., entgegen, nimmt also offenbar an sieb die Autorität des Dekrets an.
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III. Was die Bedeutung des Decretum Gratiani für das geltende Recht lxIrif'H, so darf man wohl Folgendes sagen14). Das Dekret ist, wie seine Entstehung lehrt, eine reine Privatarbeit. Als solche kann es seiner Natur nach als Ganzes keinen Anspruch auf 'gesetzliche Gel- tung haben, ausser ihm wäre durch ausdrückliche Aussprüche der ge- setzgebenden Gewalt (Papst oder allgemeines Goncil) eine solche bei- gelegt, oder es wäre durch allgemeine Gewohnheit in der Kirche reeipirt worden 15). Ersteres ist niemals geschehen, liegt auch nicht in der Besorgung einer offiziellen Ausgabe. Diese erklärt sich genügend daraus, dass den Päpsten daran lag, einen festen Text dieses einen Theil des s. g. Corpus juris canonici bildenden Buches, dessen Gebrauch im Leben und der Schule ein häufiger ist, herzustellen. Wäre mehr beabsichtigt, so hätte das gesagt werden müssen 16). Eine allgemeine Reception Seitens der Kirche hat auch nicht stattgefunden 17). Richtig ist, dass das Dekret als Sammlung des damals geltenden Rechts die frühern ausser Gebrauch gesetzt hat und für das ältere Recht, soweit es dieses ent- hält, in der That eine in Wissenschaft und Schule anerkannte Quelle geworden ist. Ebenso ist sicher, dass selbst die Ansichten Gratian's in manchen Punkten für die Wissenschaft und Praxis massgebend wurden, so dass sich Gewohnheitsrecht aus ihnen gebildet hat. Endlich lässt sich nicht läugnen, class manche im Dekrete enthaltenen, an sich particulären Rechtssätze durch die allgemeine Annahme und den Ge- brauch — analog wie das bei den älteren Sammlungen überhaupt der Fall ist — in der Kirche zu allgemeinem Ansehen gewohnheitsrechtlich
Aber die Beifügung von Paleae zeigt, dass man noch nicht ganz klar war. Rufin scheint noch Burchard neben das Dekret zu stellen. Siehe §. 26 num. IV.
u) Ich wiederhole hier im Wesentlichen, was ich Kirchenrecht I. S. 329 ff; gesagt habe.
15) Dass in einzelnen Provinzen oder Diöcesen weder durch die Gesetzgebung noch die Gewohnheit der Sammlung eine formelle Gültigkeit beigelegt werden konnte, ergiebt sich daraus, dass ihr Inhalt die Grenzen, welche der partikulären Rechts- entwicklung gesetzt sind, übersteigt,
16) Das Breve Gregor's XIII. sagt aber kein Wort von einer solchen Geltung.
17) Ob das Phillips IV. S. 163 annimmt, indem er das Dekret „im Gegensatze zu den Gesetzbüchern mit dem technischen Ausdrucke ,Rechtsbuchl " bezeichnet und mit den Libri feudorum vergleicht, ist nicht klar. Es ist unbestreitbar in Bologna als Text, über den gelesen wurde, reeipirt. Das aber hat ihm für das Kirchenrecht den Charakter eines „Rechtsbuches im technischen Sinne" nicht geben können. Der Recensent meiner Quellen im ,Liter. Centralbl.' Leipz. 1860 S. 598 sieht das Dekret als Gesetzbuch an, er meint, dasselbe als Rechtsbuch entstanden, habe durch die Reception wirklich den Charakter eines Gesetzbuchs erlangt und besitze ihn noch „ähnlich wie das römische Recht, das canonische Recht im Gebiete des Civilrechts, der über feudorum, die deutschen Rechtsbücher u. a,"
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gelangt sind. Feststeht aber zunächst, das die Sammlung als Ganzes weder überhaupt jemals ein gesetzliches Ansehen genoss, noch insbesondere für das geltende Recht irgend welche formelle Kraft besitzt. Dies ist durch den stilus Guriae Romanae, Aussprüche der Päpste und die Wissenschaft ausser Zweifel gesetzt 18).
Die einzelnen Quellenstellen im Dekrete haben demnach, wie aus dem Gesagten folgt, jene Geltung und Autorität, ivelche Urnen an und für sich, abgesehen von ihrer Aufnahme ins Dekretuni, zukommt. Erste Bedingung für die heutige Geltung einer Stelle ist also, dass sie nicht durch eine lex posterior oder eine consuetudo contraria aufgehoben oder durch die vigens ecclesiae disciplina wegen der veränderten Verhältnisse überhaupt ausser Kraft gesetzt sei. Insoweit das nicht der Fall ist, kommt einem Kapitel allgemeine oder particuläre Geltung zu, wenn sie ihm nach seiner Quelle an sich zukommen kann 19). Falsche päpstliche Dekretalen u. dgl. haben folglich als solche gar kein Ansehen 20), eben- sowenig die Stellen, welche aus Schriften, denen kein gesetzliches An- sehen zukam, entnommen sind, oder von Personen herrühren, welchen keine gesetzgeberische Macht beiwohnte. Ob aber eine Stelle von Gratian herrühre oder Palea sei, kann somit für das geltende Recht in der That nicht in Betracht kommen. Selbstverständlich kann man sich daher auf die Quellen des Dekrets ebensogut berufen, als auf dieses
selbst.
Ist eine Stelle im Dekrete richtig aufgenommen, so genügt nach der Natur der Sache die Berufung auf dasselbe unbedingt. Hier ist der Punkt, wo die officielle Ausgabe durch die Feststellung eines authen-
i8) Benedicti XIV. Lit. a. 1744, de Canonizat. Sanctor. L. IV. p. 2. c. 17 n. 10. de syn. dioec. L. VII. c. 15. n. 6. Vergleiche weiter: Fagnani, in cap. Super in- ordinata (c. 35 X. de praeb. III. 5.) n. 23. p. 187. Barbosa, Prooerm ad Decret. n 9. Andr. Vallensis, Paratitla De divis. jur. ean. cet. §. VII. n. 12 sq. Engel Coli, iur Prooem. n. 5. Pirhing, Prooem. §. V. Wiestner, Dissert. prooem. n. 90 — 92. Beiifenstuel Prooem. §. V. (num. 63 — 85.), Schmalzgrueber, Dissert. prooem. num. 262 275 sq. Leuren, Forum ecclesiast. Quaest. praelimin. qu. 18. Böckhn Prooem. n 25 sqq. Mayr, Trismagistus, Instit. prooem. Punct, XXXVIII. (n. 215 — 225). Die- selbe Ansicht haben überhaupt die Neuern. Ich habe mich darauf beschränkt, nur die currentesten Werke anzuführen. Die gleichen Ansichten der Schriftsteller des 14 15., 16. Jahrh. referiren Wiestner, Reiffenstuel und Mayr,
19) Wann und in welchem Umfange dies der Fall sei, zeigt mein Kirchen- recht 1. §§. 10-33. 36-43., §§. 84 ff. 94 ff.
a0) Davon verschieden ist die Frage, ob überhaupt durch die falschen Dekre- talen die kirchliche Entwicklung geleitet sei oder ob solcbe wirklich Recht geworden sind. Denn wenn und insoweit dies der Fall ist, treten sie wohl für die Geschichte, aber nicht für das geltende Recht als falsche Dekretalen auf. Für letzteres können sie Geltung haben.
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tischen Textes eine praktische Bedeutung hat. Die Arbeil der Cor- rectores Romani bezweckte die Herstellung eines richtigen, also mit dem Originale stimmenden Textes und der Inscriptionen, welche gerade zur Beurtheilung der Kraft des einzelnen Kapitels von der allergrössten Bedeutung sind. Wenngleich nun, weil die Sammlung kein Gesetzbuch geworden ist, feststeht, dass Jedem zu jeder Zeit in foro und in der Wissenschaft der Beweis offen stellt, dass eine Stelle nicht von der Person herrühre, welcher sie die römische Ausgabe beilegt, oder dass sie im Originale anders laute; wenn auch sofort mit diesem Beweise die Geltung des Kapitels fortfällt oder sich ändert, so hat doch offenbar die offizielle Feststellung den Erfolg, dass die Berufung auf eine Stelle des Dekrets in foro ecclesiastico eine Vermuthung erzeugt. Der kirch- liche Richter kann also unter Voraussetzung des vorher Gesagten auf Grund dieser Stellen entscheiden21), bis ihm der Gegenbeweis geliefert ist, braucht aber wreder eine Einrede gegen die Geltung oder Richtigkeit zuzulassen, noch eine amtliche Prüfung derselben vorzunehmen.
Den Dicta Gratiani als solchen kommt durchaus kein gesetzliches Ansehen zu. Ihre Autorität ist nur eine doktrinelle, übrigens eine be- deutende, sofern ihre Ansichten nicht von der Schule (Glosse) ausdrück- lich reprobirt, durch andre Meinungen ersetzt oder durch das spätere Recht ipso facto antiquirt sind. Denn an sich muss die Ansicht eines Mannes von Bedeutung sein, der als Vater der canonistischen Jurisprudenz an- zusehen ist; sodann hat man sich in der That vielfach daran gehalten; endlich hat Gratian durch seine Ausführungen und seine Sammlung selbst sich als einen Mann gezeigt, der, auf der Höhe der Bildung seiner Zeit stehend, mit dem praktischen Erfassen von deren Verhältnissen und Bedürfnissen die Fähigkeit verband, durch sein Werk — und zweifelsohne auch sein Wort — in einer Weise seine Zeitgenossen an- zuregen und zur Fortsetzung des Begonnenen zu vermögen, wie dies nicht leicht in grösserem Maassstabe vorgekommen ist. Somit bilden Gratian's Erörterungen ein sehr gewichtiges , ja gewisses Zeugniss für die Auf- fassung seiner Zeit. Wie also, und damit sind wir bei der wichtigsten Seite angelangt, das System und die Erörterungen des Dekrets eine wichtige Quelle der Dogmengeschichte des Kirchenrechts bilden, so liefert das im Dekrete gesammelte Material uns eine sehr reichliche Fundgrube für die Geschichte des Kirchenrechts überhaupt, welche manche der altern Sammlungen und Quellen insoweit vollständig ersetzt, als es uns im einzelnen Fall nur auf den geschichtlichen Entwicklungsgang eines
21) Es ist das aber nicht praktisch, da vielleicht keine Stelle des Dekrets existirt,. aus der man noch heute in wirklich wichtigen Dingen ein gerichtliches Urtheil mo- tiviren könnte, ohne dass sich im spätem Rechte ein Anhalt fände.
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Institutes, eines Rechtssatzes ankommt. In dieser Richtung kann sein Studium nicht dringend genug empfohlen werden.
IV. Von den gedruckten Ausgaben 22) ist die älteste die Strassburger von 1471 per Henricum Eggesteyn, in fol. Die Ausgaben bis 1500 sind entweder Abdruck einer Handschrift oder eines früheren Druckes. Von denen seit 1500 ist zuerst von Bedeutung die Pariser von 1505 23) „ex- pensis et opera Udalrici gering et magistri Bertholdi Rembolt socio rum", besorgt von Johannes Chappuis. Wie die Zusätze früherer in die späteren aufgenommen wurden, so sind die zuerst 24) in der Ausgabe von 1505 in der Glosse beigefügten Casus und Divisiones fortan in allen Ausgaben mit der Glosse stehend geworden. Die Ausgaben vor 1500 haben durch- weg 25) die Glosse mit abgedruckt. Ihr fügte zuerst Antonius Demochares in seiner Ausgabe Paris 1547 26) Paratitla bei, welche in alle späteren Ausgaben übergingen. Diese Ausgabe ist die erste , welche in Noten auf Mängel des Dekrets hinweist, verschiedene Lesarten aus Hand- schriften und Ausgaben anführt, den Text und namentlich die Inscri- ptionen zu verbessern sucht. Eine Lyoner Ausgabe von 1553 27) hat die Zahlen der Kapitel. Einen weiteren Abschnitt bildet die Ausgabe von Carl Dumouliny Lyon 1554 28). Dieselbe setzt, ohne jedoch die Paleae mitzuzählen, bei den einzelnen Kapiteln Zahlen bei, fügt der Glosse Zusätze bei und giebt eine Masse von Noten, welche den Text namentlich in historischer Beziehung kritisiren. Die Zahlen der Kapitel und Paleae hat zuerst die Ausgabe von Le Conte, Paris 1556 29), jedoch
22) Meine Glosse S. 26 ff. handelt darüber. Hain zählt 39 Drucke aus dem 15. Jahrh. auf. Baluze (in der Vorr. z. A. Augustinus de emend. Grat. §. XXVI) hält die Mainzer von 1472 für die älteste. Ueber die einzelnen Drucken des 15. Jahrh. angehängten Repertorien, flos, summaria cet. die Angaben bei Hain. Diese Schriften sind im 2. Bande zu behandeln. Die von Johannes a Turreeremata sich zuge- schriebene systematische Umformung des Dekrets, welche keinen Erfolg hatte, ge- hört nicht hierher. Siehe darüber vorläufig Hänel in ,Berichte über die Verhand- lungen der kön. sächs. Ges. d. Wissensch. in Leipzig', 1856 H. III. u. IV. S. 111 ff.
23) Genau beschrieben in meiner Glosse S. 27 f.
24) Meine Glosse S. 84 ff.
25) Ich habe nicht alle einzusehen Gelegenheit gehabt, aber gegen 30 selbst gesehen. Hain giebt bei den meisten an, ob sie die Glosse haben.
26) Meine Glosse S, 93.
27) Am Ende ,Lugd. excudebat Joannes Pidaeius MDLIII.' Sie hat die Casus, Divis., vorher: decr. abbrev. d. a. in versibus, can. decreti per ord. alph., Concilia decreti cum can., glosar. decr. medullae, vita Grat., flores totius decreti, nachher can. poenit. Eine andere Lyon ad Salamandrae, apud. Sennetonios fratres. MDLV. fol.
28) Meine Glosse S. 92 f., welche auch an Beispielen zeigt, wie die Gorrectores Romani mit ihr umspringen,
29) Von Neuem mit von der Censur beschnittenen Vorreden, Antwerpen 1570. A. Agostino (de emendat. Grat. dial. 18. I. p. 199 sqq.) wollte eine andere Zählung.
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mit mehrfachen Fehlern 80). Für die Folgezeit wurde von massgeben- der Bedeutung die offizielle römische Ausgabe*1). Die Absicht Pius' IV., »•ine kritische Ausgabe des Dekrets zu veranstalten, führte Pius V. im J. 1566 durch Einsetzung einer Gommission aus, die aus 5 Cardinälen
und 12 Doctoren bestand. Sie wurde mehrfach ergänzt und hat über- haupt 35 Mitglieder gehabt. Sie vollendete ihre Arbeit im Jahre 1580. Diese von den Correctores Romani veranstaltete Ausgabe des Dekrets erschien 1582 zu Rom mit dem Titel:
„Decretum Gratiani emendatum et notationibus illustratum Una cum
glossis, Gregorii XIII. Pont. Max. jussu editum. Romae. In
Aedibus Populi Romani. MDLXXXII." Neue Ausgabe daselbst 1584. Was diese Ausgabe leistete, ist Folgendes32). Im Texte behält sie die Initia und Reihenfolge der Ganones und Paleae, wie solche vorlagen, bei mit fortlaufender Zählung in der einzelnen Distinction oder Quästio; die Ganones, Paleae und Dicta Gratiani werden durch den Druck unterschieden, erstere mit ge- wöhnlicher Antiqua; auf beiden Seiten derselben — wo dies nicht er- forderlich war, bleibt der Rand leer — die Glosse, die Paleae mit der- selben Schrift, aber oberhalb derselben der Zusatz Palea, die Dicta mit Gursivschrift. In dem Texte werden, wenn ein Dictum Gratiani folgt, nach diesem, sonst nach dem Kapitel selbst mit dem Beisatze ,§.' Noten beigefügt, worin bald auf die vera lectio, wie sie das angenommene Original hat, verwiesen, bald eine notatio zur Erläuterung beigefügt wird; sind deren mehrere, so werden griechische Zahlen (a, ß, y) beigesetzt, oft aber auch eine einzige numerirt (et). Direkt änderte man im Texte die Gitate, wenn sie als unrichtig angenommen wurden, ergänzte die Ga- nones aus den Quellen. Am Rande neben der Glosse setzte man die Parallelstellen bei und hob die Stellen hervor, wo Gratian nicht den Wortlaut giebt, sondern blos ein Excerpt. Was die Glosse betrifft, so behielt man die bisherigen Zusätze bei, fügte aber eine Masse von Anmerkungen hinzu, um die nach römischer Anschauung falschen An- sichten der Glosse und insbesondere Dumoulin zu widerlegen. Diese Ausgabe wurde von Gregor XIII. in dem Breve Cum pro munere vom 1. Juli 1580, das die Gesammtausgabe des Corpus juris betrifft und der Ausgabe voraufgeht, mit folgenden Worten als einzig statthafte er-
30) Berardi Grat. can. observ. 10.
31) Ihre Geschichte geben Augustini Theineri Disquisitiones criticae in praeci- puas canonum et decretalium collectiones cet. Romae 1836. 4. app. I. documenta quae Gratiani decreti emendationem respiciunt. Vgl. Phillips IV. S. 194 ff. Theiner führt die Namen der Mittglieder an, ebenfalls nach ihm Phillips.
32) Vgl. meine Glosse S. 94 f., welche namentlich bezüglich der Glosse genau auf sie eingebt.
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klärt: ,,Nos opportune providere volentes, ut hoc Jus Canonicum sie expurgatum ad omnes ubique Ghristifideles sartum tectum perveniat, ac ne cuiquam liceat eidem operi quiequam acldere, vel immutare, aut in- vertere, nullave interpretamenta adjungere, sed prout in hac nostra urbe Roma nunc impressum fuit semper, et perpetuo integrum, et in- corruptum conservetur." Es folgt dann ein Verbot des nicht ausdrück- lich gestatteten Nachdrucks für 10 Jahre bei Strafe der grösseren Ex- communication, Confiscation der Exemplare und 1000 Dukaten Strafe, Wiederholung des früheren für die ganze Welt. Ein kleineres Breve, das oberhalb des Textes auf der ersten Seite von diesem steht, wieder- holt diese Vorschrift also : ,, Jubemus igitur, ut quae emendata, et re- posita sunt, omnia quam diligentissime retineantur, ita ut nihil addatur, mutetur, aut imminuatur."
Unterzieht man diese Ausgabe einem genaueren Studium, so muss man anerkennen, dass die Gorrectores Romani manche Irrthümer, welche sich in den Gitaten Gratian's, in den Inscriptionen u. s. w. vorfanden, verbessert haben, eine Masse von Stellen aus den Sammlungen nach- weisen, mit Hülfe von 21 Handschriften des Dekrets, glossirten und unglossirten , endlich vielerlei Einzelnheiten berichtigt haben. Aber im Hinblicke auf die kolossale Zeit, die darauf verwendet wurde, ist sehr wenig geschehen. Kann man auch Anderes erwarten von einer Gom- mission, welche die Vorrede (Ea, de quibus lectorem prineipio visum est admonere, haec sunt) mit dem Satze beginnt: ,In Ecclesia Romana, omnium ecclesiarum magistra, solitos esse asservari conciliorum canones et Pontificum decreta, ac ceteris Ecclesiis communicari, plane compertum est', und dessen Lächerlichkeit selbst dadurch illustrirt, dass sie in ihrem ,Index librorum, qui variis ex locis sunt habiti' 65 Bücher aufzählt, von denen 21 ihr in Rom gar nicht zu Gebote standen, sogar Dekre- talen- und Ganonensammlungen 33)? Diese Commission nimmt im Jahre 1580 noch die pseudoisidorischen Dekretalen als eine von Isidor von Sevilla gemachte Sammlung an 34). Die Ausgabe ist in einer drei- fachen Beziehung kein Fortschritt. Erstens hat sie die wirkliche Text-
33) Alexandri II. epistolae werden bezeichnet als , partim missae ab Antonio Augustino Episc. Tarrac' u. A. geschickt; Bonifacii P. Concilium aus Spanien u. s. w.
34) Vorrede 3. Alis. Phillips freilich findet IV. S. 204 ganz natürlich, dass sie nichts verändert haben, , selbst wenn ihnen der wahre Ursprung derselben ganz genau bekannt gewesen wäre.' Wer nach den Erörterungen der Centuriatores Magdeburgenses (Eccles. bist. II. c. 7. III. c. 7) noch an deren Echtheit festhielt, der war gleich dem Gommissionsmitgliede Franz Torres , der 1572 ihre Echtheit ver- theidisjte sesren die Centuriatoren, unfähig, solche Arbeiten zu machen, weil er nicht frei denken durfte. Ueber die Art, wie A. Agustin sich bezüglich des Pseudoisidor mehr als schlau benimmt, siehe Maassen, Gesch. I. S. XXXI. ff.
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kritik durch die Absicht eines legalen Textes abgeschnitten. Nicht was man in Rom als Text wollte oder ansah, ist der Text Gratian's. Wollte man also wissenschaftlich verfahren, so musste man auf Grund der ältesten Handschriften, die man hatte, möglichst den wirklichen Text herzustellen suchen. Nur zu diesem Zwecke durfte man auf die Quellen für die Textbearbeitung zurückgehen, dann aber nicht auf die Original- werke, sondern auf die Sammlungen, aus denen geschöpft war. Die Originalien durften nur angeführt, ihre Abweichungen notirt werden u. s. w. Sodann enthält die Ausfüllung von Lücken sowie die Besserung des Textes auf Grund des Originals eine wirkliche Veränderung des Textes, fälscht also das Dekret namentlich als Geschichtsquelle. Drittens hat man durch die Noten, insbesondere zur Glosse, lediglich den Zweck verfolgt, das einmal zur Thatsache gewordene System gleich in den historischen Quellen zu Tage treten zu lassen. Auf die vorgratianischen Quellen ging Niemand vor den Boiler hü, ja für die eigentliche Rechts- geschichte bis ins 19. Jahrhundert zurück. Im Dekret hatte man nun sowohl im Texte, als besonders in der Glosse, massenhafte Aussprüche, welche auf dem Gebiete des Dogma wie auf dem des Rechts im Widerspruche standen mit der seit dem 13. Jahrhundert in Aufnahme gekommenen Lehre, mit Thomas von Aquin, Bonaventura, und dem Goncil von Trient. Es galt also die Quelle unschädlich zu machen. Zu dem Ende setzte man auseinander, dass die alten Schriftsteller in ihrer Einfalt die Sache nicht besser gewusst hätten, wies aus Thomas von Aquin, Bonaventura, Torquemacla und dem Goncil von Trient ihre Fehler nach. Damit aber in der Folgezeit durch freie wissenschaft- liche Forschung das römische System nicht unterwühlt werde, erklärte man die römische Ausgabe als die einzig zulässige 35). Fasst man diese Tendenz ins Auge, so ist ausser Zweifel, dass keinerlei wissenschaft- liches Interesse die römische Ausgabe hervorrief, sondern ausschliess- lich die Absicht, dem römischen Systeme die Geschichtsquellen dienst- bar zu machen. Dies hat man erreicht.
Die späteren von Katholiken gemachten Ausgaben, unter denen nur die von Peter und Franz Pithou, Paris 1685 in fol., durch Claudius Le Peletier besorgte, welche ohne Glosse ist, wegen ihrer Noten und der vielfachen Verbesserungen der Inscriptionen u. s. w. hervorgehoben zu werden verdient, hielten den römischen Text fest. Die letzte Aus-
35) Meine Glosse S, 94 f. giebt Belege ans der Ausgabe, namentlich für das Bestreben, die päpstliche Macht zu begründen. Für diese, die Busse, Ordination u. s. w. steht das Dekret im Widerspruche mit dem Goncil von Trient; die römi- schen Noten suchen dem abzuhelfen. Zu dem gleichen Zwecke gebot man, die gott- losen Bemerkungen des Carl Dumoulin unleserlich zu machen.
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gäbe mit der Glosse ist meines Wissens die Lyoner von 1671 in fol. Einen grossen Fortschritt bekunden die Ausgaben von Justus Henning Böhmer und Aemilius Ludwig Richter. Die erstere (Halae 1747. 4.) ist ausgezeichnet durch die in den Vorreden niedergelegten Erörterungen, welche theils auf fremden , theils auf eignen Forschungen ruhen , die Angaben bezüglich der Inscriptionen, der Zeit der Ganones 36), die Nach- weise der Quellen; ihr Text ist wenig correct, obwohl das Verlassen des offiziellen an sich nicht tadelnswerth ist. Die Ausgabe von Richter (Leipzig 1836. 4.) behält den offiziellen Text mit den Noten der Gor- rectores Romani bei, benutzt hinsichtlich der Inscriptionen u. s. w. alle früheren Forschungen und bietet bezüglich der Nachweise der Quellen Alles, was sich nach dem damaligen Stande der Forschung leisten liess. Ist sie auch aus diesen Gründen als die beste zu bezeichnen, so kann sie doch nicht als genügend erscheinen. Eine dem wissenschaftlichen Bedürfnisse vollständig entsprechende Ausgabe hat folgenden Anfor- derungen zu genügen:
1. Der Text muss auf alten Handschriften ruhen.
2. Bei dessen Feststellung sind die ältesten Glossatoren zu be- nutzen.
3. Es ist festzustellen, aus welchen Sammlungen Gratian wirk- lich die einzelnen Ganones geschöpft hat. Diese Quellen sind alsdann bei der Textredaction zu benutzen, beziehungsweise ihre abweichenden Lesarten anzugeben.
4. Die Glosse ist zu bearbeiten und aufzunehmen.
5. In Noten sind die historischen Daten u. s. w. anzugeben.
Diese Aufgabe kann aber nicht gelöst werden, bevor nicht wirk- lich wissenschaftlich tüchtige Ausgaben der hauptsächlichen Quellen, namentlich der Gollectio Anselmi, Burchard's, Ivo's, Polycarpus u. s. w., wie wir solche von Pseudoisidor durch Hinschius, von Regino und den Pönitentialbüchern durch Wasserschieben, für Deusdedit durch Marti- nucci, den Liber diurnus durch Roziere besitzen, sodann Ausgaben von Paucapalea , Rufmus , Stephanus , Summa Parisiensis , Huguccio vor- liegen. Es liegt somit auf der Hand, dass die Lösung der Aufgabe die Kräfte eines Einzigen übersteigt und es vielleicht nie zu einer voll- kommenen Ausgabe kommt. Und doch macht erst die Erfüllung dieser Forderungen eine wirkliche Geschichte des canonischen Rechts möglich.
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) Mit Recht tadelt aber Richter in der Vorrede, dass er und Le Peletier sich
zu sehr auf ungewisse Angaben einlassen.
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C. Die Sammlungen von Oratian bis auf Gregor IX.
§• 16. 1. Bis zur Compilatio prima.1)
I. In den Paleae, welche unzweifelhaft ,wie das ähnlich auch früher geschehen war, am Rande zugeschrieben wurden, liegt die erste Form der Ergänzung des Dekrets vor. Umfassten die Paleae das übersehene Material, so war das äusserst reiche neue Dekretalenmaterial in dieser Gestalt nicht nachzutragen. Zu dessen Aufnahme genügte auch eine zweite primitive Form, nämlich das Anfügen am Ende eines Theiles nicht mehr; denn dadurch litt die Einheit zu sehr, auch ging das nur bei neuen Abschriften. So kam man ganz naturgemäss zu Anhängen, appendices ad decretum, welche, immer mehr anschwollen und allmälig in eine geordnete Gestalt gebracht wurden. Einen solchen bietet ein Innsbrucker Codex dar, aus dem ihn Maassen zuerst bekannt gemacht hat 2).
Es wurde sodann in diesen Anhängen, sowie in eignen Samm- lungen das Material unter Kategorien , deren Inhalt mit dem Namen Rubriken oder Titel bezeichnet wurde, aufgenommen. Ihre Verbreitung gestattete, eine Dekretale in Kürze so zu citiren, dass Jeder sie finden konnte. Ist auch bisher keine Sammlung dieser Art gedruckt oder auch nur genau beschrieben worden, so lässt sich deren Existenz vor 1179 nachweisen. Simon de Bisiniano , dessen Summa vor dem März 1179 gemacht ist, citirt Extravaganten in einer solchen Menge, dass dies nur dann Sinn hat, wenn es auch anderen möglich war, sie nach- zuschlagen. Bei verschiedenen führt er dieselben mit dem Zusätze caput an, der mit Notwendigkeit zu der Annahme führt, dass die an- geführte Extravagante in verschiedene Kapitel zertheilt war. Auch
*) Ueber diesen Gegenstand handelt ausführlich mein „Beitr. zur Gesch. des can. Rechts von Gratian bis auf Bernhard von Pavia", Wien 1873 (Sitz. Ber. LXXII. 481 ff.); er führt auch die geringe Literatur an. Hier darf ich mich schon um desswillen kürzer fassen, weil die Beweise eine Spezialuntersuchung erfordern, die a. a. 0. gegeben ist. — Die Abhandlung von Laurin, die Dekretalensammlungen von Gregor IX. im Arch. f. kath. Kirchenr. XII. S. 1—23 enthält nichts Neues, da sie auf keinen handschriftlichen Studien, sondern nur auf fremden Arbeiten fusst.
2) Siehe meinen cit. Beitrag S. 5. Einen solchen von 17 Dekretalen hat auch die Darmstädter Hofbibl. Nr. 907 mbr. fol. s. XIII. (,monasterii Weingartensis 1628') hinter dem Dekret, welches die Glossen der ältesten Form hat; am Schlüsse ve'rsi- fizirte vitae pontificum bis Johann XIX.
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führt er geradezu eine Dekretale an mit ihrem Anfange als in decre- talibus epistolis stehend 3).
II. Seit dem Goncil vom Lateran (1179) verstand sich die Auf- nahme von dessen wichtigen Schlüssen von selbst. Aus der Zeit von 1179 bis 1190 sind vier Sammlungen dieser Art bekannt, die älteste unter der Bezeichnung Appendix Concüii Lateranensis 4). Sie enthält in Pars I. die Schlüsse von 1179 in der Reihenfolge des Originals, in den 49 folgenden — daher ihr Name — je mit einer Inhaltsrubrik {Titel) in der Gesammtzahl von 537 Kapiteln. Deren Stoff vertheilt sich folgendermassen : 7 Kap. gehören an Goncilien vor Alexander III., 26 Päpsten vor diesem , 442 diesem selbst , 9 dem Goncil von Tours von 1163 unter Alexander III. , 26 den Nachfolgern Alexander's III. bis auf Clemens III. (1187—1191). Ihre jetzige Gestalt zeigt bereits eine Vermehrung. Die erste Recension, welche unter Lucius III. (1181 bis 1185) stattfand, umfasste 44 Partes. Die zweite, gemacht im An- fange der Regierung von Clemens III., schiebt in einzelne Partes De- kretalen von Urban III. und Clemens III. ein und fügt hinzu P. 45 bis 50. Die Aufnahme der einzelnen Dekretalen erfolgte bald in der Art, dass man sie ganz als ein Kapitel hinsetzte, bald strich man das nicht unter die Rubrik Gehörige oder überflüssig Scheinende, bald ver- theilte man sie, wo der Inhalt dies zuliess, unter mehrere Rubriken, sie entweder jedesmal ganz oder nur stückweise gebend; im letzteren Falle deutet man dies nach dem Anfangsworte mit et infra oder etc. oder pars capitidi mit dem Anfangsworte an. Hierdurch kam das Citiren mit dem Anfangsworte , das Zerreissen der Dekretalen und das Abkürzen, welches insbesondere im Auslassen der Erzählung (pars de- cisa im Gegensatze der Entscheidung, decisio) oder Motivirung der An- sprüche bestand, in Aufnahme.
III. Aus der ersten Gestalt der Appendix Lateranensis ist unter Lucius III. gemacht worden die Collectio Bambergensis 5). Sie giebt in 54 Titeln, deren Rubriken grösstentheils in den beiden folgenden wieder- holt werden, und 445 Kapiteln, welche (382) meist auch in der Ap- pendix stehen, Dekretalen bis auf Alexander III. und 4 von Lucius III. Die lateranensischen Schlüsse hat sie am Ende in ganz selbstständiger Reihenfolge.
3) Alle diese Punkte sind erwiesen in meinem 2. Beitrage S. 32 f.
4) Gedruckt in den Gonciliensammlungen, bei Mansi XXII. col. 249, 274 — 454. Vgl. Theiner, Disquis. crit, pag. 4 sqq.
5) Ungedruckt im Cod. P. I. 11. der Bamberger Kön. Bibliothek fol. 1 — 17 a., von mir zuerst beschrieben kurz im 2. Beitr. S. 46 ff. ausführlich in dem citirten Beitr. S. 16 ff. und von mir nach dem Vorgange von Böhmer und Richter benannt.
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IV. Bald nachher ist entweder in der letzten Zeit Lucius' III. oder unter seinem Nachfolger diese Gollectio Bambergensis erweiterl worden zu der Collectio Lipsiensis ('). Diese hat 65 Titel mit 632 Kapiteln. Voran stehen 28 lateranensische Ganones; die Dekretalen gehen bis auf Alexander III. (500 Kap.) und Lucius III. , dann 106 Kapitel aus allerlei Concilien. Das Material ist durch die neuen Titel mehr ge- sichtet; das Zerreissen hat sie gleichfalls; ihr Haupt werth liegt in der Aufnahme von bisher übergangenen Dekretalen Alexander's III. und anderer Stücke.
V. Die Coli. Bambergensis ist frühestens unter Urban III. (1185 bis 1187) oder Gregor VIII. (1187. 21. Oct. — 17. Dec.) oder Cle- mens III. (1187 — 1191) mit Zusätzen aus Dekretalen Alexander's III., Lucius' III., Urbans III., die theils in der zweiten Recension der Appen- dix stehen , aber nicht aus dieser entnommen sind , versehen worden. Sie enthält die Collectio Casselana 7), welche 65 Titel hat. Die 12 ersten enthalten in 40 Kap. die lateranensischen Schlüsse, welche hier zuerst inhaltlich geordnet sind, die 53 anderen mit 439 Kap., die mit Ausnahme von 23 (Alexander III. gehören davon 15, Urban III. 6, Lucius III. 2) in der Goll. Bambergensis stehen 8).
Unzweifelhaft gab es noch andere, bisher nicht aufgefundene, min- destens nicht beschriebene Sammlungen 9).
§. 17. 2. Die Compilatio prima des Bernhard von Pavia. l)
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Bereits früher ist gesagt worden, dass man die nicht im Dekret stehenden Dekretalen als Extravagant ia (capita), Extravagantes litterae, decretales bezeichnete. Ihre allmälig zu einer grossen Masse ange-
6) Ungedruckt erhalten im Cod. 975 fol. 116 a— 153 1> .der Leipziger Univer- sitätsbibiothek, benannt und zuerst beschrieben von Richter, De inedita decretalium collectione Lipsiensi, Lips. 1836.
7) Nach der Handschrift der Casseler Landesbibliothek Cod. Ms. jur. in folio Nr. 15 abgedruckt (und benannt) von J. H. Böhmer in seinem Corpus iuris can. II. col. 185—340.
8) In meiner cit. Abb. muss es S. 15 letzte Zeile des Textes heissen ,Bam- bergensis' anstatt Lipsiensis.
9) Was Theiner, Disquis. pag .113 sqq. über zwei Sammlungen mittheilt, genügt nicht, um darauf näher einzugehen und ein Urtheil zu fällen.
x) Handschriften: 14 mit Glossen, die ich selbst benutzt habe, führt an meine Literaturgeschichte der Compilationes antiquae, Wien 1871 (Sitz. Ber. LXVI, S. 51 ff.) S. 25. Dazu: Freibarger Universitätsbibl. 361a. Druck durch Ant. Augustinus Episc. Herd., Antiquae Collectiones decretalium. Herd. 1576 fol., Barcinone 1592,
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wachsene Zahl hatte das Bedürfniss neuer Sammlungen fühlbar gemacht. Diesem half ab Bernhard von Pavia in der von ihm selbst als Brevia- rium Extravagant tum bezeichneten Sammlung 2), welche mit einer kurzen Vorrede ,Juste judicate filii hominum' anhebt. Sie vertheilt den Rechts- stoff in einer ganz neuen Weise, indem sie sich äusserlich den römischen Rechtsquellen anschliesst, aus diesen die Eintheilung in Libri mit der Unterabtheilung von Tituli hernimmt, und zwar fünf Bücher, von denen das erste 34, zweite 21, dritte 37, vierte 22, fünfte 37 Titel mit respective 169, 166, 250, 112, 226 Kapiteln hat (zusammen 151 Titel mit 923 Ka- piteln). Davon gehören an Alexander III. einschliesslich der lateranensi- schen Ganones 517, Lucius III. Kap. 35, Urban III. K. 17, Gregor VIII. K. 5, Clemens III. Kap. 3. Auf Eugen III. fallen 12, auf die übrigen von Innocenz IL bis Alexander III. ebenfalls einige. Inhaltlich umfasst Buch I. nach einer Einleitung über die Quellen (Tit. 1 — 3), welche in- soweit der Dist. 1 — 20 Gratian's entspricht, die sich auf die Stellung der Mitglieder der Hierarchie als solcher beziehenden Verhältnisse 3) ; die Masse des Buches entspricht somit dem tractatus ordinandorum des De- krets. Das zweite Buch umfasst alle auf das Gerichtswesen und den Pro- zess in formeller und materieller Beziehung sich beziehenden Kapitel. Ihm entsprechen Causae 2 — 6, 11, 22 des Dekrets, das aber, wie früher hervor- gehoben wurde, diese im Ganzen civilistischen Materien nicht behandelt *).
Opp. IV. (mit Noten von Gujacius, Paris 1G09 fol.). Literatur: Theiner, Disqnisit. pag. 1 — 16. Derselbe giebt p, 81 — 85 eine durch Druckfehler vielfach unbrauch- bare synoptische Tabelle, in der die Appendix G. L. die erste Golumne, die Goll. Gasseiana die zweite, die Bern. Pap. die dritte einnimmt. Philipps IV. S. 207 ff, Laspeyres, praef. ad Bernardi Papiensis Summa decretalium cet. Ratisb. 1860. Laurin, im Arch. f. kath. Kirchenr. XII. S. 337 ff. — Mein Beitr. giebt S. 26 ff. eine synop- tische Tabelle, die die einzelnen Kapitel der Goll. Bamb., der App., Lips., Cass., des Breviar. neben einander in Golumnen stellt und so das ganze Verhältniss dieser fünf Sammlungen äusserlich kundgiebt.
2) Er sagt im Prooemium der Summa decretalium : „Libellus extravagantium a waiori parte decretalium nomen accepit," vorher „ego B. qui decretales et extra- vagantia compilavi."
3) Besetzung und Eigenschaften 4 — 14, einzelne Aeniter (15 — 23, 29), Verhält- niss der Oberen und Untergebenen (25), Erlangung von Rechten durch Verträge. Stellvertreter, Schiedsrichter (29 de procuratoribus, 33 de arbitris, 26 de pactis, 27 de transactionibus), Rechtsmittel gegen Rechtsverletzungen (32 de alienatione judicii mutandi causa facta, 24 de treuga et pace, 30 de his quae vi metusve causa fiunt. 31 de in integrum restit.). Dass allerdings das System ein sehr loses ist. liegt auf der Hand. Tit. 28 (de postulando) und 34 (de juramento calumniae) gehören nicht in's erste Buch und sind in Gregor's IX. Dekretalen auch in's 2. gesetzt.
4) Vgl. oben §. 14. Anm. 15. den Ausspruch von Rufin. Der innere Grund liegt darin, dass es um 1150 nur äusserst wenige kirchliche Aussprüche über diese Dinge gab. Dies aber hat seinen Grund darin, dass sich erst im Laufe des 12. Jahr-
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Buch 111. enthält alle Rechtssätze, welche sich auf den Klerus als In- dividuen, die Kirche und den Klerus in privatrechtlicher Beziehung, die religiösen Korporationen, die Laien als Berechtigte beziehen 5). Im Ganzen ist das entsprechend dem Dekret, wo dies die res ecclesiae be- handelt 6). Buch IV. ist nur dem Eherechte gewidmet, füllt also, wie bei Gratian (G. 27 — 36), einen eignen Theil, der sich an den vorher- gehenden anschliesst. Buch V. behandelt das Griminalrecht und den < Iriminalprozess 7), ausserdem drei auf das Recht überhaupt bezügliche Materien: de privilegiis (28), de verborum significationibus (36), de re- gülis juris (37). Das jus quod pertinet ad personas, ad actiones, ad res hat auch hier vorgeschwebt; die äussere Anordnung hält sich aber augenscheinlich in gewisser Beziehung auch an die Pandekten 8). — Die Mehrzahl der Kapitel ist entnommen aus den im vorhergehenden Paragraphen beschriebenen Sammlungen 9). Auch bezüglich der Titel- rubriken hat sich Bernhard an dieselben gehalten. Aber seine Gompi- lation zeichnet sich unbedingt aus durch folgende Punkte:
hunderts die geistliche Gerichtsbarkeit in Civilsachen über den Klerus, das Kirchen- gut und in vielen anderen Dingen auch in Italien ausgebildet hat. Es ist hier nicht der Ort, dies nachzuweisen, wohl aber darauf nachdrücklich hinzudeuten, dass Inhalt und Gestalt der kirchlichen Rechtssammlungen schon einen Anhalt da- für bieten.
5) Im Einzelnen: Leben und Pflichten der Geistlichen (1 — 4, 37), Beneficien und Unterhalt des Klerus (5 — 10), Kirchen und Kirchengut, Bau, Immunität (11, 12, 35, 36), Leistungen an Kirchen und Klerus (26, 34), Privatrecht, Verträge etc. (13—23), Regularen (27—32), Pfarrverband (25), Patronat (33).
6) Dem Buch III. entsprechen im Dekret die Caitsae 7 — 10; 13, 14, 17, 21; 12, 18; 25; 16, 17, 19, 20. Auch hier zeigt sich wieder der soeben hervorgehobene unterschied. Das Privatrecht, Patronatsrecht hatte zur Zeit Gratian's fast gar keine kirchlichen Rechtssätze aufzuweisen.
7) Im Einzelnen: Verfahren und Strafen (1, 11, 18, 29, 30, 32—34), Amts- verbrechen und speeifisch klerikale (3, 14, 12, 21—25, 27, 35), Religionsverbrechen (2,5—8), gemeine Verbrechen (9—11, 14 — 17, 19, 20,26,31). Im Dekret hehandeln dieselben Gegenstände einzelne Distinctionen, Gausae 1 — 6, 15, 23, 26.
8) Die beiden letzten Titel und ihre Stellung, den beiden letzten der Pandekten entsprechend, beweisen dies. Dass manche Titel aus dem Codex Justiniani herüber genommen sind , ist ebenso wie die vorige Bemerkung schon oft hervorgehoben worden.
In der Glosse, den versificirten Inhaltsverzeichnissen, der Summa aurea von Henricus de Segusia u. A. ist der Inhalt in Verse gebracht, die kürzeste Gesammt- angabe des Inhalts der 5 Bücher: „judex, Judicium, clerus, sponsalia, crimen." Bern- hard giebt im prooeemium seiner Summa den Inhalt der 5 Bücher selbst so an, dass man später dessen Worte nur in Verse gebracht hat.
9) Aus der Bambergensis stehen 414 sicher darin. Theiner und Richter haben für die übrigen die nöthigen Angaben gemacht. Alle Zusammenstellungen ohne synoptische Tabellen nützen als nicht übersichtlich wenig, diese aber nehmen zu vielen Raum ein, weshalb ich sie unterlasse.
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1. Die Ordnung des Materiales, welche trotz mancher Mängel doch zuerst eine wirkliche ist.
2. Die Fassung der Titelrubriken und die Aufstellung neuer.
Er hält sich innerhalb des einzelnen Titels an die Zeitfolge der Kapitel. Dies erklärt sich aus der Beschaffenheit des Materiales und war auch kaum anders zu machen. Für die einzelnen Kapitel ist seine Leistung nicht höher, als deren Abschreiben. Er nahm im Ganzen die Inscriptionen, wie er sie vorfand, befolgte die in der Appendix einge- schlagene Methode des Zerreissens und Verkürzens in grossem Masse.
3. Die Ausscheidung des nichtjuristischen Stoffes.
4. Die fast erschöpfende Vollständigkeit des Materiales.
Die Absicht ging dahin: nachzutragen, was im Dekret nicht stand, sodann das Neue hinzuzufügen 10). Als Quelle bezeichnet Bernhard in der in der letzten Anmerkung mitgetheilten Stelle für die vorgratiani- schen Stücke das corpus canonum, worunter die Gollectio Anselmo de- dicata zu verstehen ist11), das registrun? Gregor?'?'12 ) und die Samm- lung BurcliarcVs, die als allgemein bekannt bereits nachgewiesen ist. Wir haben bei dieser positiven Angabe keinen Grund zur Annahme, da ss Bernhard noch andere Sammlungen, deren Name eine allgemeine Bekanntschaft gestattete, benutzt habe. Aber ebensowenig folgt ans seinen Worten, dass er alle Stellen selbst aus diesen Sammlungen ent- nommen habe. Er kann ebensogut diese blos zu dem Ende angeführt haben, um anzudeuten, in welcher Quelle Gratian bei Abfassung des Dekrets noch brauchbares Material übersehen habe. Hierauf allein deuten seine Worte. Die Anführung von Stellen mit der Sammlung findet sich vielfach bei Schriftstellern, obwohl sie dieselbe nicht kannten. Die Paicae hatte er in Handschriften des Dekrets bereits vor sich. Eine wirkliche Lösung der Frage, ob Bernhard direct oder indirect aus diesen Quellen geschöpft habe, ist nicht möglich, so lange nicht alle einzelnen
10) Prooem. der Summa Bernhards: „Materia mu\. decretales et quaecltw utilia capitula, quae in corpore canonum. registro Gregorii et Brpcardo reliqueral Grafianus, poma nova et vetera nohis servans." Die vorher mitgetheilten Ziffern ergeben, . dass auf die Zeil vor Gratian etwa 300 Kapitel, also ein Drittel j kommen. Diese sind dann allerdings ein buntes Gemisch: Kirehenväter-Bibel-Stellen , Goncilienschlösse, Dekretalen, Stellen ans Poenitentialbüchern, Pseudoisidor n. s. w.
n) Das ist bei v. Savigny 11. S. 21)1 N. b. zuerst (von Biener mitgetheilt) her- vorgehoben. Dass Bernhard diese Quelle eingesehen, könnte man .ms dieser Stelle folgern, welche dieBamb. nicht hat, die Lips. (Bichter, De inedita coli. p. 18 n. 28) einlach „ex Novellis" citirt. Aber sieht sie nicht vielleicht in einer andern mit diesem Gitat?
12) Daraus eiliren auch die im vorigen §. besprochenen Sammlungen, Seine Verbreitung mal die positive Angabe lassen keinen Zweifel.
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Sammlungen bekannt sind 13). So viel steht aber schon jezt fest: Bernhard halte alle vorgratianischen Stücke theils in den Paleae, theils in den vermittelnden Sammlungen. Die nachgratianischen fand er zu- meist in den im vorigen Paragraphen beschriebenen Sammlungen, andere mag er aus anderen, aber auch aus Abschriften oder den Originalicn entnommen haben.
Die Zeit der Abfassung lässt sich ziemlich genau bestimmen. Bern- hard giebt in der Vorrede der Sammlung und seiner Summa 14) an, dass er sie als Propst in Pavia machte. Er wurde nun im Jahre 1 191 Bischof von Faenza. Damit ist der späteste Zeitpunkt erbracht; der früheste der Vollendung ergiebt sich aus der Aufnahme von Dekretalen Clemens' III. 15) Sie wäre danach vor 1187 nicht vollendet gewesen. In einem Codex der Olmützer Kapitelsbibliothek 16) steht: ,,Incipit bre- viarium extravagantium b. praepositi papiensis anno dominicae incarnatio- nis MCLXXXVII." Diese Jahreszahl hat der Schreiber unzweifelhaft in seinem Original vorgefunden. So lange nun nicht positiv dargethan ist, dass jene 3 Dekretalen von Clemens III. nicht aus dem Jahre 1187 stammen, könnte 17) man die Angabe für richtig halten, aber wahrschein- lich ist sie nicht.
§• 18-
3. Die Compilationen des Gilbertus, Alanus.M Rainer, Bernardus,
Compostellanus.
I. Ein gleiches Bedürfniss, wie es sich bis zur Abfassung der Com- pilatio prima geltend gemacht hatte, die neuen Extravaganten zu sam-
13) Auch bedarf es einer besseren Ausgabe, als der vorliegenden, die viele Fehler hat.
u) Hier sagt er noch deutlicher ,,ego B., qui decretales et extravagantia com- pilavi, tunc praepositus Papiensis, nunc Faventinus episcopus."
15) Sie sind c. un. L. IL T. 5; c. 7. L. III. T. 3; c. 4. L. IV. T. 16. Davon füllt 1 und -2 nach Jaffe, Regesta nuni. 10193 u. 10215 zwischen 1187 — 1191, 3 in num. 10288 zwischen 1188-1191.
16) Num. 5S9 mbr. fol. s. XIII. ex. Ich verdanke die Notiz Th. Sichel, der die Handschrift einsah und bemerkte, der Text sei wohl 1300 geschrieben.
17) Clemens wurde allerdings erst am 20. Dezember gekrönt. Das schliesst aber die Annahme nicht aus. Sehr unwahrscheinlich ist aber, dass Bernhard sofort Kenntniss davon erlangt habe.
Die in dem Giessener Cod. 1105 (Adrian p. 342), der dem 13. Jahrb. angehört, stehende Notiz: ,Inc. breviar. exfrav. bern. praepositi p. Anno dorn. ine. MCLXXVIII. praesidente Rom. Eccl. sumnis pont. Alex. III. pontificatus eius XX. mense Martii ind. a.' etc. ist hinsichtlich der Jahreszahl nur so zu deuten, dass sie sich auf das 3, later. Concil bezieht, dann aber noch einen Schreibfehler enthält.
*) Diese beiden Sammlungen kannte man bisher nicht genauer. Theiner, Dis quisitiones crit. pag. 17 sqq. 113 sqq. beschreibt einen Brüsseler Codex, der Gilbert's
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mein, führte zu demselben Verfahren nach deren Entstehung. Zwei solcher Sammlungen, die einen Nachtrag enthalten, sind bekannt. Die eine hat Mansi 2) herausgegeben. Eine zweite ist in einem Codex der Universitätsbibliothek zu Halle 3) enthalten. Sie umfasst 88 oder, da 15 andere Kapitel, welche in der Compilatio secunda und tertia stehen, Stücke von einzelnen dieser 88 sind, 103 Kapitel. Im Ganzen treffen beide Sammlungen überein ; einzelne Stücke der von Mansi stehen auch in der Sammlung des Alanus, haben aber in die secunda und tertia keine Aufnahme gefunden 4). Diese Sammlungen liefern theils Nach- träge von Dekretalen, die in der Compilation Bernhards fehlen, theils neuere.
II. Besonders zahlreich wurden die Dekretalen unter Innocenz III. (8. Jan. 1198 bis 16. Juli 1216). Aus solchen der drei ersten Regie- rungsjahre von Innocenz (also bis zum 8. Januar 1201) fertigte Rainer von Pomposi eine Sammlung 5), welche in 41 Titeln , die zum grossen
Sammlung enthalte und will in einem zu Halle das Inhaltsverzeichniss von Alanus gefunden haben. Seine Angaben sind jedoch zu unbestimmt, um daraus eine Ein- sicht zu erhalten. Ich fand beide Sammlungen in den jetzt